Geschenktipps zu Weihnachten

Martin Schulze Wessel, München



Carsten Goehrke, Russischer Alltag. Eine Geschichte in neun Zeitbildern vom Frühmittelalter bis zur Gegenwart, 3 Bde., Chronos Verlag Zürich 2003-2005,
Band 1: Die Vormoderne, 2003, 471 S. zahlr. Ill., Kt. ISBN: 3-0340-0583-0
Band 2: Auf dem Weg in die Moderne, 2003, 547 S. : zahlr. Ill., Kt. ISBN: 3-0340-0584-9
Band 3: Sowjetische Moderne und Umbruch, 2005, 554 S. Ill. Ill., Kt. ISBN: 3-0340-0585-7.


Das opus magnum des emeritierten Zürcher Osteuropahistorikers ist eine eindrucksvolle und faszinierende Lektüre: Carsten Goehrke führt in die Alltagsgeschichte des europäischen Russland von der Vormoderne bis ins 20. Jahrhundert ein. Ländliche und städtische Lebenswelten werden von Goehrke in ihren strukturellen Bedingungen geschildert und in "neun Zeitbildern" plastisch rekonstruiert. Das Interesse gilt vor allem den städtischen und ländlichen Unterschichten. Deren Bereitschaft und Fähigkeit zur Adaptation an sich verändernde historische Bedingungen schildert Goehrke mit großer Darstellungskraft und, wo möglich, Quellennähe.


Nikolaj Gogol, Die toten Seelen, übersetzt von Barbara Conrad, Hardcover, Artemis und Winkler 1992, ISBN 3538050813.

Urs Heftrich, Gogols Schuld und Sühne. Versuch einer Deutung des Romans 'Die toten Seelen' , Hürtgenwald, Pressler 2004, ISBN: 3-87646-100-6.


Dass die Geschichte Russlands sich über die Literatur erschließe, ist ein Gemeinplatz, und oftmals ein irreführender. Wer bislang Nikolaj Gogols "Die toten Seelen" nur als Satire oder gar realistische Schilderung des adeligen Landlebens gelesen hat, kann sich jetzt wichtige andere Dimensionen dieses faszinierenden Romans neu erschließen: Mit Hilfe von Urs Heftrichs Deutung, welche die enge Beziehung zwischen Ästhetik und Ethik in dem Roman Gogols aufdeckt. Eine Interpretation, die zum Mitdenken verführt und die man fast genauso wenig aus der Hand legt wie den Roman.


Wolfgang Büscher, Berlin - Moskau. Eine Reise zu Fuß, Reinbek: Rowohlt Verlag 2003, 17,90 Euro.

"Der Westen ist ausgelutscht, tausendfach beschrieben und erfahren. Der Westen, das sind wir. Das ist unser Leben, am Ende die Generation Golf, die bis in die feinsten Verästelungen ihrer Kindheitserinnerungen hinein sich bespiegelt. Das, mit Verlaub, interessiert mich nicht."

Eine ideale Disposition, ein Studium der Geschichte Osteuropas aufzunehmen, aber der Autor entscheidet anders: Er wandert in drei Monaten von Berlin nach Moskau. Der "Osten" entzieht sich dabei immer weiter: "Hatte ich in Brandenburg gefragt, wo der Osten anfange, war die Antwort gewesen: drüben in Polen natürlich. Fragte ich in Polen, hieß es: Der Osten fängt in Warschau an. So wurde der Osten weitergereicht, von Berlin bis Moskau. Bis kurz vorher, um genau zu sein, denn Moskau, so viel sei vorweggenommen, Moskau ist wieder Westen." Die Reise zu Fuß führt den Autor zu vielen denkwürdigen, teilweise skurril anmutenden Begegnungen, - wie erfrischend, dass er die gängigen, seit Jahrhunderten eingeschliffenen Klischees der Russland-Reiseliteratur, das Bild vom wilden oder vom despotischen Osten, nicht bedient.