Alison Fleig Frank: Oil Empire. Visions of Prosperity in Austrian Galicia, Cambridge, MA / London: Harvard University Press 2005, xx + 343 S., 3 maps, 6 fig., ISBN 978-0-674-01887-7, USD 49,95
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Dieses außergewöhnliche Werk schließt in mehrfacher Hinsicht Lücken der Forschung: Allenfalls Spezialisten der Geschichte des Erdöls und seiner Förderung ist bekannt, dass sich in Galizien, an der Peripherie der österreichisch-ungarischen Dopperlmonarchie, über Jahrzehnte hinweg einige der ertragreichsten Ölfelder der Welt befanden. Unbekannt war bisher, wer unter welchen wirtschaftlichen und politischen Umständen dieses Öl förderte, wer die Gewinne daraus erhielt und wer die sozialen Kosten sowie die Folgen für die Umwelt zu schultern hatte. Dieses umfangreiche, auf Grund der Interdependenzen komplexe Forschungsprogramm wird in sieben, quantitativ ausgewogenen Kapiteln abgearbeitet.
Im ersten Kapitel wird Galizien, welches heute zum größeren Teil zur Ukraine und zu einem kleineren Teil zu Polen gehört, als ein von Wien vernachlässigter, von einem Gemisch aus vielen Völkern bewohnter Bestandteil des Habsburgischen Imperiums vorgestellt. Dieses Kapitel zeigt zudem Aspekte der im Westen weit gehend unbekannten galizischen Geschichte auf, die sich noch heute in der Ukraine als wirkmächtige gesellschaftliche Probleme manifestieren.
Das zweite, treffend mit "Galician California" titulierte Kapitel diskutiert die frühe Phase der galizischen Bitumen- und Ölförderung. Dabei wird ausführlich darauf eingegangen, wie unklar insbesondere seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Eigentumsverhältnisse zwischen der Krone in Wien und den Großgrundbesitzern vor Ort waren und wie dies zum Streit um Land- und Ausbeuterechte zwischen Wien, der galizischen Provinzverwaltung und dem dort vertretenen Landadel führte. Dabei zeigt sich, dass auf Grund der Heterogenität der galizischen Bevölkerung heftiger Streit an der Tagesordnung war, wobei insbesondere die ukrainischen Galizier nach Unabhängigkeit strebten. Die Rahmenbedingungen für einen wirtschaftlich geordneten sowie sozial- und umweltverträglichen Abbau und eine sinnvolle Vermarktung des reichlich vorhandenen "schwarzen Goldes" waren also denkbar schlecht.
Im dritten Kapitel werden der Ausbruch und Ablauf des galizischen Ölrauschs sowohl detailreich als auch systematisch geordnet dargestellt. Untrennbar damit verbunden war ab Mitte der 1880er-Jahre der Auftritt ausländischer Entrepreneure. Aus Polen und Kanada stammende Ölsucher führten neue Bohrtechniken und Unternehmensstrukturen ein, ausländische Kreditinstitute begannen sich zu engagieren und trugen ansatzweise zur Formierung einer "professionellen" Industrie bei. Die Einflüsse von außen gingen jedoch einher mit immer noch insuffizienten Rahmenbedingungen: Der Abtransport des geförderten Öls zu den Märkten litt unter dem dilettantischen und bürokratischen Umgang der Wiener Regierung mit den Verhältnissen in Galizien. Dort wiederum wurden die widerstrebenden Interessen der polnischen und der nach Selbstbestimmung strebenden ukrainischen und ruthenischen Galizier so zum Spielball fremder Interessen.
Vor diesem Hintergrund behandelt Kapitel vier die soziale Lage der Arbeiter in der Ölindustrie. Erstaunlich ist hier das Ergebnis, dass es trotz einer miserablen Lage für die Arbeiter nicht zu klassenkämpferischen Aktionen wie Streiks kam, sondern vielmehr zu religiös motivierten Streitereien innerhalb der Arbeiterschaft, gepaart mit Antisemitismus. Statt der Solidarität wurde mehr dem Alkohol zugesprochen - und dem jeweiligen nationalistischen Gedankengut innerhalb einer multinationalen Bevölkerung und Arbeiterschaft.
Kapitel fünf zeigt, dass bei der galizischen Ölproduktion das Problem auftrat, welches auch für andere Ölbooms typisch war - eine unkontrollierte Überproduktion durch eine zu schnelle und unkoordinierte Ausbeutung der Fundstätten. Erschwerend kam hinzu, dass in Galizien auch die Weiterverarbeitung und Vermarktung des Rohöls nicht, wie etwa in den USA oder in Baku, durch Monopole oder Kartelle organisiert war. Als sich um 1908/09 die jährliche Ölförderung ihrem Maximum näherte, verfielen gleichzeitig die Preise, ohne dass es zu einem marktordnenden Eingriff kam. Der wirtschaftliche Niedergang durch Raubbau wurde aber nicht erkannt und es kam auch zu keiner Prosperität Galiziens.
Daran änderte auch der Ausbruch des Ersten Weltkrieges nichts, wie in Kapitel sechs diskutiert wird: Die Militärs Österreichs und des Deutschen Reiches erkannten erst spät während des Krieges die strategische Bedeutung des Öls, aber dann konnte es auf Grund der bisher vernachlässigten Infrastruktur Galiziens nicht dorthin befördert werden, wo es benötigt wurde. Daneben wird gezeigt, auf welch tönernen Füßen das österreichisch-ungarische Imperium stand.
Die Folgen behandelt dann Kapitel sieben: Nachdem im Westen der Erste Weltkrieg zu Ende gegangen war, ging der Krieg um die galizischen Ölfelder in die entscheidende Runde, da nun die habsburgische Macht zerfallen war. Die alliierten Siegerstaaten glaubten an eine weitere, große Ergiebigkeit der Ölfelder und strebten aus militärischen und wirtschaftlichen Interessen eine Kontrolle Galiziens an. Jedoch hatten hier England und Frankreich unterschiedliche Vorstellungen. Die bolschewistische Revolution, die Unabhängigkeitsbewegung in den ukrainisch bewohnten Gebieten (Ost-)Galiziens und das polnische Interesse an einer territorialen Angliederung (West-)Galiziens erschwerten dabei eine friedliche und diplomatische Lösung, was einen Krieg zwischen Polen und einer kurzzeitig unabhängigen, aber zum Spielball anderer Nationen gewordenen Ukraine unvermeidlich machte. Letztlich endete dies in einer Teilung Galiziens. Jedoch stritten sich die Parteien hier um das Fell eines Bären, welches schon sehr schütter geworden war: War Galizien 1909 mit 5% der Weltfördermenge noch auf Platz drei aller Förderländer, stand es 1925 mit einem Weltmarktanteil von 0,54% auf Platz zehn und verschwand dann letztlich bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges. Was blieb für Galizien, waren die mit der Ölförderung verbundenen Umweltprobleme, aber keine Prosperität.
Diese auf Materialien aus ukrainischen, österreichischen, englischen und französischen Archiven beruhende Pionierarbeit besticht durch eine durchdachte Analyse, gepaart mit sprachlicher Souveränität. "Oil Empire" wird über Jahre hinweg das Referenzwerk zur Geschichte der galizischen Ölindustrie bleiben sowie ein wertvoller Beitrag zur Geschichte der Ölindustrie insgesamt und deren Einbettung in internationale Querelen um diese Ressource.
Helmut Braun