Virginia Crossman: Politics, pauperism and power in late nineteenth-century Ireland, Manchester: Manchester University Press 2006, vii + 248 S., ISBN 978-0-7190-7377-9, GBP 50,00
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Ute Lotz-Heumann: Die doppelte Konfessionalisierung in Irland. Konflikt und Koexistenz im 16. und in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, Tübingen: Mohr Siebeck 2000
Richard English: Irish Freedom. A History of Nationalism in Ireland, London: Macmillan 2006
Felicity Heal: Reformation in Britain and Ireland, Oxford: Oxford University Press 2003
Raymond Hylton: Ireland's Hugenots and their Refuge, 1662-1745. An Unlikely Haven, Brighton: Sussex Academic Press 2005
Vincent P. Carey: Surviving the Tudors. The 'Wizard' Earl of Kildare and English Rule in Ireland, 1537-1586, Dublin: Four Courts Press 2001
Virginia Crossman beklagte im November 2005 im Rahmen einer Tagung zur Armenfürsorge noch das Fehlen einer gründlichen Untersuchung des Zusammenhangs von Politik und Wohlfahrt in Irland. [1] Dieses Defizit hat die Historikerin der Oxford Brookes University nun selbst behoben. "Politics, pauperism and power in late nineteenth-century Ireland" beleuchtet in sechs mit zahlreichen Quellen versehenen Kapiteln, wie die Armenfürsorge (Poor Law) zum Gegenstand politischen Muskelmessens geraten ist: Während die eine Seite, die Regierung in Westminster sowie das Local Government Board, bestrebt war, die Armenfürsorge frei von politischem Gezänk jenseits des Parlaments zu halten, bot es der anderen Seite, den nationalistischen Organisationen Irlands, die Gelegenheit, sich über den organisierten Kampf als Bewegung zu etablieren und so den Nachweis eigener Regierungsfähigkeit zu erbringen. Crossman kommt so zu zahlreichen Bewertungen, die von dem bislang umfassendsten Beitrag zum Poor Law im späten neunzehnten Jahrhundert von William Feingold abweichen. [2]
Der von Crossman gewählte zeitliche Rahmen umfasst die 1880er- und 1890er-Jahre. Innenpolitisch war dieser Zeitraum geprägt durch die Home Rule-Debatte und den Land War. Als das Armenrecht in Irland 1838 eingeführt wurde, folgte es weitgehend den Regelungen, wie sie vier Jahre zuvor auch für das englische Armenrecht getroffen worden waren. Jedoch war für Irland kein eigenes Recht auf Fürsorge vorgesehen, die lediglich Bedürftigen zugewiesen wurde. Zum anderen war Outdoor Relief in Irland nicht zugelassen, Fürsorge also nur innerhalb der Armenhäuser möglich. Als das irische Poor Law vom ersten Dáil abgeschafft wurde, geschah dies mit dem Verweis darauf, dass das alte Poor Law dem irischen Wesen fremd und als Ausdruck des verhassten englischen Regimes zu ersetzen sei.
Mit der Konzentration auf die Zeit des Land War hat Crossman einen interessanten Rahmen gefunden. Denn nach einigen Jahren schlechter Ernte begann sich 1879 die Land League (und ihr Nachfolger die National League) zunehmend für das Poor Law zu interessieren. In derselben Zeit verringerte sich die Rolle der Landlords, die bei der Besetzung der Poor Law Boards zunehmend von frei gewählten Poor Law Guardians an den Rand gedrängt wurden oder das Board verließen, weil sie nicht mit gewählten Tenants das Board teilen wollten. In das entstehende Vakuum stieß die League. So versuchte sie, über eigene Kandidaten, die von der Zentrale abgesegnet waren, unmittelbar Einfluss auf die Zusammensetzung der Boards zu nehmen und dadurch die Verbindung von nationaler und lokaler Bewegung zu vertiefen. Crossmans Bewertung weicht in diesem Punkt deutlich von Feingolds ab, der nationale und lokale Bewegung stets uneinheitlich und die Rolle der League eher abwehrend gesehen hat. Gewählte nationale Guardians konnten jedoch, so Crossman, das Board nicht nur für ihren eigenen Prestigegewinn nutzen. Sie versuchten auch die Politik des Boards selbst zu bestimmen.
Welche Handlungsspielräume die League besaß, zeigt Crossman anhand des Konflikts um die Verwendung finanzieller Mittel während der Kampagne 1882/83 in der Union von New Ross, als vertriebenen Pächtern durch das Board Unterkunft in Arbeitshäusern geboten werden konnte. Das für die Verwaltung der lokalen Poor Law Boards letztlich zuständige Local Government Board reagierte auf diese Provokation mit der Auflösung des Boards und ersetzte die Guardians durch Vice-Guardians, die das Recht wiederherstellten. Die League rief daraufhin zum Boykott gegen die Vice-Guardians auf und organisierte die Verweigerung von Abgabenzahlungen und jeglicher anderer Kooperation mit dem Board. Die Vice-Guardians scheiterten in der Folge darin, den wirklich Bedürftigen adäquate Unterstützung zukommen zu lassen, und brachten damit die Regierung weiter in Misskredit.
Dass freilich die offizielle Seite keineswegs frei davon war, ihrerseits politischen Einfluss auf die Politik der Armenfürsorge zu nehmen, zeigte sich unter dem Chief Secretary Arthur Balfour, der tiefe Vorbehalte gegenüber den lokalen Beamten hatte. Staatliche Fürsorge sollte nach seiner Auffassung unter strikter zentraler Verwaltung gehalten werden und die tatsächliche Bedürftigkeit des Einzelnen sollte sich darin erweisen, dass er dazu bereit war, in das Armenhaus zu gehen. H.A. Robinson, Vizepräsident des Local Government Boards, unterschied indessen in kurzfristige und langfristige Effekte der Armenfürsorge. Da Hunger im Westen Irlands quasi eine Dauererscheinung darstelle, brächten Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen zwar einen schnellen Effekt. Die dauerhafte Hungersituation im Westen bleibe jedoch bestehen, weshalb die Maßnahme keine Verbesserung darstelle, sondern die Menschen abhängig mache. Gerald Balfour, der wenige Jahre nach seinem Bruder gleichfalls Chief Secretary war, hatte zwar dasselbe Ziel wie sein Bruder, nämlich die engere Anbindung Irlands an England. Jedoch wollte er dieses Ziel nicht durch eine strikte zentrale Verwaltung erreichen, sondern durch das Gegenteil: Devolution, also die weitgehende Verlagerung von Zuständigkeiten auf die lokale Ebene. Da die Politik der offiziellen Seite zu keinem Zeitpunkt konsistent war, blieb auf lokaler Ebene im Fall einer Hungersituation nur die Möglichkeit, den Zustand möglichst stark zu übertreiben, um so die Aussicht auf Nothilfe zu vergrößern.
Dass auf lokaler Ebene der Unions das Poor Law und die ausführenden Beamten tatsächlich auch wichtige Antreiber von Verbesserung sozialer Verhältnisse sein konnten, zeigt Crossman anhand der Umsetzung der Labourer Acts. Hier waren es gerade die mit Arbeitern und Pächtern besetzten Boards, die Wohnungsbauprojekte zugunsten schlecht untergebrachter Landarbeiter vorantrieben und so wesentlich zur Hebung des sozialen Standes der Landarbeiterschicht beitrugen, die stets erste Kandidaten für das Arbeitshaus waren.
Crossman leistet mit ihrem Beitrag zwei wesentliche Dienste. Die Auseinandersetzung mit dem Poor Law konzentrierte sich bislang auf seine Entstehungszeit und sein Versagen während der Famine Jahre. Crossmans Schwerpunkt liegt dagegen in den letzten beiden Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts. Crossman erweitert mit ihrem Beitrag den Blick auf die nationale Ebene und zeigt die Modernisierung auf, die das Poor Law, so umstritten es auch stets gewesen ist, doch ermöglichte. So wurde das Poor Law eben nicht, wie Feingold dies dargestellt hat, zur Gänze von der Bevölkerung sowie der Land League abgelehnt. Vielmehr zeigte sich, dass im Gegenteil die Bereitschaft zur Beteiligung mit regionalen Unterschieden sehr wohl vorhanden war.
Anmerkungen:
[1] Christiane Swinbank: Tagungsbericht von Regional Patterns of Poor Relief in Britain, Ireland and Germany, URL: http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=1037, [letzter Zugriff 03.05.2007].
[2] William L Feingold: The Revolt of Tenantry: The Transformation of Local Government in Ireland 1872-1886, Boston Mass. 1984.
Clemens Körte