Michael Burleigh: Sacred Causes. Religion and Politics, from the European Dictators to Al Qaeda, London: Harper Press 2006, xviii + 557 S., ISBN 978-0-00-719574-9, GBP 25,00
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Von der Klappe des Schutzumschlags schaut der Autor den Leser mit traurigem Hundeblick an. Nach der Lektüre weiß man warum. "It is a grim spectacle" (478), sodass man dem Verfasser sein Schlussbekenntnis zum Optimismus nicht leicht abnimmt. Denn die Geschichte der politischen Religionen einerseits, der Beziehungen der christlichen Kirchen zu ihnen und den Staaten überhaupt andererseits, von denen das Buch handelt, droht für ihn ein schreckliches Ende zu nehmen: Nicht der Wiederbelebung des Christentums im nachkommunistischen Osteuropa könnte die Zukunft gehören, sondern einer Ordnung, in der die Staaten als Hüter gemeinsamer Werte abgedankt haben, während die Führer religiöser Minderheiten mithilfe terroristischer Aktionen der Mehrheit ihren Willen und ihre Lebensform aufzwingen. Der Nordirlandkonflikt stellt das Paradigma dar, aber die Moslems folgen laut Burleigh demselben Muster. Die marxistisch korrumpierten Linksliberalen, die Universitäten und Medien beherrschen, haben dem nichts mehr entgegenzusetzen. Burleigh hat klare Feindbilder: die Iren, die er besonders niederträchtig charakterisiert (373-377), wobei ihm nur der gute Geschmack verbietet, sich über "the predominant ethnic identity of catholic clergy involved in the paedophile scandals" zu verbreiten (374), dann natürlich die Moslems, deren nicht-terroristische Mehrheit und deren Religion ihm kaum der Rede wert sind, schließlich die Linksliberalen, wobei er selten Namen nennt. Während sein ständiger Berater Hans Maier zum herausragenden Historiker und Religionsphilosophen avanciert (XVII, 473), wird Eric Hobsbawm als Historiker des 20. Jahrhunderts nur in Fußnoten dingfest gemacht (504 f., 508). Über Deutschland fallen bissige "asides" an: es stelle seine Provinzialität dadurch unter Beweis, dass sein Kanzler Schröder sich als Gegner des Irakkriegs im Amt halten konnte, im Gegensatz zu dem mutigen Spanier Aznar (474), während seine Politiker die offensichtlich segenreiche Tätigkeit von Hedge Funds als "Heuschrecken" diskriminieren (472). "Silly" und "hysteric" sind zur Bezeichnung Andersdenkender besonders beliebt.
Trotz seiner streitbaren Einseitigkeit ist das Buch aber durchaus lesenswert. Erstens aus literarischen Gründen, denn es ist sehr gut geschrieben. Klare analytische Abschnitte wechseln mit lebensnahen Exempeln zur Veranschaulichung. Dazu beherrscht der Autor die Technik, auftretende Figuren durch knappe "asides" zu Person und Privatleben zu charakterisieren, die keineswegs immer auf bösartigen, sondern häufig auf lehrreichen Gebrauch des inzwischen rehabilitierten "Argumentum ad hominem" hinauslaufen. So z. B. der Hinweis, dass der von Burleigh wegen seiner Rolle beim Zusammenbruch des Kommunismus im Gegensatz zu dem um Ostkontakte bemühten Paul VI. durchaus geschätzte Johannes Paul II. eine Vergangenheit als Schauspieler hatte. Zweitens und vor allem ist das Buch in den ersten sechs Kapiteln, deren Gegenstände "abgeschlossen" und insofern "historisch" sind, weitgehend sachlich und überaus informativ. Das gilt sogar von Teilen der oben charakterisierten letzten vier Kapitel, wenn man sie kritisch zu lesen weiß. Konservative Einseitigkeit führt eben nicht nur dazu, dass bestimmte Fakten beschwiegen werden, z. B. die englische Instrumentalisierung des Nordirlandproblems Anfang des 20. Jahrhunderts, sondern auch dazu, dass Dinge zur Sprache kommen, die im historischen Mainstream kaum eine Rolle spielen, z. B. die antichristlichen Exzesse vor und im Spanischen Bürgerkrieg, wobei Burleigh aber keinerlei Sympathie für Franco oder das Opus Dei erkennen lässt.
Das Buch beginnt in Kapitel I mit einer Schilderung der mentalen und politischen Lage nach dem Ersten Weltkrieg, wobei der überaus belesene Autor bereits sein Talent zum Ausgraben wenig bekannter, aber durchaus signifikanter Figuren wie z. B. von Christoph Bry unter Beweis stellt. Nebenbei erfahren wir auch, dass Amerikas "Freedom Fries" (statt "French Fries") von 2001 damals in den österreichischen "Treubruchnudeln" (für italienische Makkaroni) einen Vorläufer hatten (11). Kapitel II behandelt die politischen Religionen und ihre Kirchenpolitik unter Lenin, Mussolini, Stalin, Hitler und schließt mit Hinweisen auf zeitgenössische Analysen von Gurian, Voegelin, Borkenau und Aron. Kapitel III wechselt zur Haltung der katholischen Kirche, besonders Pius' XI. und seines Nuntius und Staatssekretärs Pacelli, zur Kirchenpolitik in Mexiko, Spanien, Portugal, Österreich, Irland und Frankreich, vor allem aber in Italien und Deutschland, wo dann auch von der evangelischen Kirche im 'Dritten Reich' die Rede ist. Kapital IV über die Zeit des Zweiten Weltkriegs befasst sich mit der Haltung Pius' XII. gegenüber Deutschland und Russland sowie der Kirchenpolitik in Vichy-Frankreich, den Niederlanden und Polen, der Slowakei, Kroatien, Rumänien, Bulgarien und abermals Italien. Natürlich geht es auch um die Haltung der Kirchen zur Judenverfolgung und um das angebliche Schweigen Pius' XII. Allerdings ist längst bekannt, dass der Papst nicht nur tatkräftig geholfen, sondern auch keineswegs geschwiegen hat. Aber er hat die behutsame Sprache des Diplomaten einer donnernden Verdammung vorgezogen, die er nach Lage der Dinge für kontraproduktiv halten musste. Die Gegenseite verstand jedoch durchaus, was gemeint war, und reagierte entsprechend. Burleigh schließt sich der These an, die Legende vom Schweigen Pius XII. sei eine Fabrikation des sowjetischen Geheimdienstes aus der Nachkriegszeit, als der Papst sich anti-kommunistisch exponiert hatte; Hochhuth sei ihr aber nur zu gerne aufgesessen (293).
Kapitel V schildert die Rolle der Kirche bei der knappen Vermeidung einer kommunistischen Machtübernahme im Nachkriegsitalien sowie das Aufkommen der christlichen Demokratie dort, in Deutschland und Frankreich, schließlich den Niedergang Franco-Spaniens. In Osteuropa hingegen fand die in Kapitel VI geschilderte kommunistische Machtübernahme tatsächlich statt, z. T. in heftigen Auseinandersetzungen mit den Kirchen, die einen deutlichen Nachkriegsaufschwung erlebt hatten. Auch Stalin hatte die orthodoxe Kirche im Krieg benötigt und ihr zuliebe die ukrainischen Unierten beseitigen lassen. Das 2. Vatikanische Konzil war zwar unzweifelhaft ein Bestandteil der "Kulturrevolution" der 1960er-Jahre, die in Kapitel VII zunächst am britischen Beispiel bissig geschildert wird. Ob es aber mit seinen Folgen in Spanien und Lateinamerika unter der Überschrift "Time of the Toy Trumpets" richtig eingeordnet ist? Von den Kapiteln VIII (Nordirland), IX (Zusammenbruch des Kommunismus in Polen und der DDR), X (Die Welt nach dem 11. September 2001) war eingangs bereits die Rede.
Das Buch ist überwiegend aus zweiter Hand geschrieben, macht aber bei aller konservativen Einseitigkeit einen soliden Eindruck. Es befindet sich im Rahmen des bei einem solchen Vorhaben Möglichen durchaus auf der Höhe der Forschung, obwohl kleinere Unrichtigkeiten nicht fehlen. So wurde z. B. der fanatische Radikalreformator Thomas Müntzer nicht nur zum Verrückten, sondern auch zum Urheber des Täuferreichs von Münster befördert, was schlichter Unsinn ist (444). Schwerwiegender erscheint mir das Fehlen einer gründlichen Auseinandersetzung mit dem nur angerissenen Phänomen einer weitgehenden Entkirchlichung oder sogar Entchristlichung in West- und Mitteleuropa bei gleichzeitiger Wiederkehr der Religion in alter oder neuer Gestalt in Osteuropa und anderen Teilen der Welt. Das hätte dem ehrgeizigen Werk besser angestanden als die Polemik aus persönlicher Betroffenheit in den letzten Kapiteln!
Wolfgang Reinhard