Irene Dingel / Günther Wartenberg (Hgg.): Georg Major (1502-1574). Ein Theologe der Wittenberger Reformation (= Leucorea-Studien zur Geschichte der Reformation und der Lutherischen Orthodoxie; Bd. 7), Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2005, 327 S., ISBN 978-3-374-02332-5, EUR 34,00
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Einer der Herausgeber des vorliegenden Buches, der Leipziger Kirchenhistoriker Günther Wartenberg, ist im Juli 2007 verstorben. Der Sammelband über Georg Major zeigt noch einmal in kondensierter Form, wo die wissenschaftlichen Interessen und Stärken Wartenbergs lagen: in der Konzentration auf die Territorialkirchengeschichte des Stammlandes der Reformation; in der quellennahen Auseinandersetzung mit der Wittenberger Reformation und ihren Exponenten der ersten, aber auch der zweiten Reihe; schließlich in der Einbindung der theologischen Reformationsforschung in vor allem landesgeschichtliche Politikkontexte, für die Wartenberg als Herausgeber der Korrespondenz Moritz' von Sachsen wie kaum ein zweiter steht.
Wartenberg und seine Mitherausgeberin Irene Dingel haben Beiträge profilierter deutscher und amerikanischer Kirchenhistoriker versammelt, um Leben und Werk des Melanchthonschülers und Wittenberger Theologieprofessors Georg Major (1502-1574) zu untersuchen. Unter den Reformatoren der zweiten Generation blieb er in höchstem Maße sowohl der Person als auch der Lehre Melanchthons verpflichtet. Sein Name ist vor allem im Zusammenhang mit einer theologischen Kontroverse, dem Majoristischen Streit, bekannt geblieben, der sich an das Interim anschloss. Major hatte die Heilsnotwendigkeit guter Werke gelehrt und damit die scharfe Kritik der radikalen Interpreten Luthers ausgelöst, die in der These seines ehemaligen Freundes Amsdorff gipfelte, gute Werke seien dem Seelenheil abträglich. Die Herausgeber des hier vorliegenden Bandes haben beschlossen, diese Kontroverse nicht einzubeziehen und sich statt dessen den weniger bekannten Seiten von Majors Wirken zuzuwenden. Denn dieser ist wie manche andere Protagonisten des frühen Luthertums nicht sonderlich gut erforscht. Ob dies allerdings, wie einer der Autoren vermutet, auf einem "Verdrängungsprozess im Luthertum" beruht, der mit "nicht bewältigten theologischen Problemen" (46) zusammenhängt, mag man bezweifeln: Es könnte auch schlicht daran liegen, dass die zweite Garde der Reformatoren weder lebens- noch werkgeschichtlich so interessant ist wie die großen, bekannteren Reformatorengestalten - zumal jemand wie Major, der sein Profil wohl gerade durch seine Gegnerschaft zu anderen Theologen gewinnt.
Dennoch ist Major eine Schlüsselgestalt für die Interimszeit und auch die darauf folgende Konsolidierungsphase der Leucorea. Daher ist es plausibel, dass die Präsentation von Majors facettenreichem Werk im vorliegenden Band ganz in die Geschichte der Universität, die er prägte und die ihn prägte, eingebunden wird. Dies gilt etwa für Helmar Junghans' kleine Geschichte der Leucorea zwischen 1536 und 1570, in der er den Wandel Wittenbergs von der Residenz- zur Universitätsstadt nachzeichnet und die zentrale Rolle des akademischen Lebens für die kleine Stadt an der Elbe beleuchtet, aber auch zeigt, in welcher Weise Wittenberg - trotz seiner theologischen Umstrittenheit im Zeitraum, der dem Interim folgte - das deutsche Luthertum als Ausbildungsstätte prägte. Über die Majorforschung hinaus, die im vorliegenden Band mit dem Verzeichnis von Majors Druckschriften ein nützliches Werkzeug findet, reicht ein weiteres Verzeichnis, das Junghans im Zusammenhang mit seinem Beitrag angelegt hat: ein biografisches Verzeichnis der Wittenberger Rektoren, Prorektoren, Dekane, Professoren und Schlosskirchenprediger, das jedem, der sich mit dem Luthertum des Zeitraums zwischen 1530 und 1570 beschäftigt, gute Dienste leisten wird.
Die Aufsätze des Bandes widmen sich jeweils einem Aspekt von Majors Wirken: So wird er als Universitätsprofessor, Bibelexeget, Prediger, Übersetzer, Pädagoge und Kirchenpolitiker vorgestellt. Als Professor "präsentierte sich Major in der Rolle eines authentischen Vermittlers zwischen der Generation der Reformatoren und der Generation ihrer Schüler" (64). Als Exeget wandelte er weitgehend auf den Spuren Melanchthons, wenn er auch inhaltlich zuweilen von ihm abwich, weil er Exegese auch als Auseinandersetzung mit der Gesellschaft, in der er lebte, verstand. Auch der Prediger Major folgte seinem Lehrer, wenn er etwa antike Exempla in seine Predigten integrierte. Als Übersetzer orientierte er sich an den rhetorischen Vorgaben Melanchthons, als Pädagoge verband er wie dieser antik-humanistische Elemente mit lutherischer Theologie. Insgesamt entsteht das Bild eines produktiven Gelehrten, der aber weniger kreativer Kopf war als Bewahrer und Popularisierer. Bereits im reformatorischen Glauben erzogen, wurde Major so zu einem frühen Exponenten eines orthodoxen Theologiestils, der im Wesentlichen darin bestand, die von Luther und Melanchthon beschrittenen Wege zu tradieren und zu systematisieren.
Der Beitrag von Irene Dingel zum kaum bekannten Regensburger Religionsgespräch 1546 zeigt, dass Major weniger als Akteur auf der Veranstaltung selbst denn nachträglich als Publizist agierte: Sein Bericht über das Kolloquium gehört zur "Kriegspublizistik im Umfeld des Schmalkaldischen Krieges" (206) und zeigt, dass Major sich eindeutig gegen die Rechtfertigungslehre des Interims wandte und nicht etwa eine Kompromisshaltung einnahm. Dass ihm gerade eine solche von den radikaleren Interimsgegnern, etwa Amsdorff, vorgehalten wurde, beleuchtet Günther Wartenberg in seinem Beitrag zu Majors Rolle in den sächsischen Auseinandersetzungen der Jahre 1546 bis 1552. Amsdorff sah in Major einen Exponenten der albertinischen Kirchenpolitik des neuen Kurfürsten Moritz - was, so Wartenberg, einerseits zutreffe, andererseits aber übersehe, dass Major aus theologischen Gründen sehr wohl Distanz zu Moritz' opportunistischer Politik hielt. Erst mit dem Kurfürsten August arbeitete Major wieder vertrauensvoll zusammen; letztlich war es wohl das Bewusstsein der historischen Bedeutung gerade der Leucorea als Ausgangspunkt der Reformation, das Major dorthin zurückkehren und ihn auch von einer radikaleren Opposition zum Interim Abstand nehmen ließ.
Der Band enthält also eine Vielzahl interessanter Untersuchungen zu Major. Ob aber der biografische Fokus des Bandes und dessen kirchengeschichtliche Engführung ihn über ein theologiegeschichtlich interessiertes Publikum hinaus attraktiv machen, ist zweifelhaft. Dazu erscheinen die Versuche, die Forschungen über Major systematisch an übergreifende sozial- und kulturgeschichtliche Fragen anzubinden, zu dünn; vieles wird nur konstatiert, zu weniges befragt. Um ein einziges, winziges Beispiel zu nennen: In einem Beitrag heißt es: "Die Unermüdlichkeit, mit der Major seine Vorlesungen zum Druck beförderte, ist erstaunlich." (47) Hier müsste weitergefragt werden: Was genau war daran erstaunlich? Warum war er denn so unermüdlich? Steht Major damit allein? Ist die flächendeckende Publikation theologischer Vorlesungen vielleicht gerade ein Indiz für einen beginnenden orthodoxen Theologiestil? Systematische Untersuchungen, die solchen Fragen folgen, lassen sich mit der Konzentration auf nur eine Person natürlich nicht anstellen. Und doch erschiene gerade eine Einordnung der konsolidierenden und popularisierenden Arbeiten Majors in einen solchen Kontext weiterführend.
Matthias Pohlig