Gotthard Strohmaier: Antike Naturwissenschaft in orientalischem Gewand (= AKAN-Einzelschriften; Bd. 6), Trier: WVT 2007, 209 S., ISBN 978-3-88476-938-6, EUR 20,00
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Gotthard Strohmaier, Honorarprofessor am Seminar für Semitistik und Arabistik der Freien Universität Berlin, beschäftigt sich seit seiner 1965 an der HU Berlin eingereichten Dissertation zum Thema "Die arabisch erhaltene Galenschrift 'Über die Verschiedenheit der homoiomeren Körperteile': Zum 1. Male herausgegeben, übersetzt und erläutert" intensiv mit dem Fortleben griechischer Philosophie, Medizin und Wissenschaft in der islamischen Kultur und Religion und mit dem Weiterwirken der arabischen Übertragungen in Europa während des Mittelalters. Heute gehört Strohmaier, der noch immer am Corpus Medicorum Graecorum der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften mitwirkt und vor zwei Monaten zum Mitglied der Philosophisch-historischen Klasse der Bayerischen Akademie der Wissenschaften gewählt worden ist, zu den weltweit besten Kennern des antiken Erbes im Orient.
So ist es zu begrüßen, dass man in dem hier vorgelegten Band 15 zum Teil an sehr unterschiedlichen Orten publizierte Beiträge von Strohmaier zusammengeführt hat. Strohmaier selbst skizziert in seinem kurzen Vorwort treffend, worum es ihm bei den einzelnen Aufsätzen geht: Die arabische Wissenschaft sei, so die Grundannahme des Autors, "nie aus dem Schatten der griechischen Autoritäten herausgetreten, die erst in den revolutionären Umbrüchen der europäischen Neuzeit in eine respektvolle Distanz gerückt wurden" (7). Aufsatz Nr. 15 ("Medieval Science in Islam and Europe: Interrelations of Two Social Phenomena") geht daher der wichtigen Frage nach, wieso diese Entwicklung nicht auch in der islamischen Welt eingetreten ist. Letzten Endes war es wohl ein Bündel von (vor allem ökonomischen) Faktoren, die dazu führten, dass Europa seit dem 16. Jahrhundert eigenen, von den Griechen unabhängigen intellektuellen Wegen folgte. Vorher waren die Gelehrten der Renaissance - wie auch die muslimischen Spezialisten - von einer beinahe lähmenden Ehrfurcht vor den antiken Geistern erfüllt. (Nr. 9 "Die Macht der 'Alten' in der arabischen Medizin"). Als ein Resultat dieser inflexiblen Haltung kann die Pseudoepigraphie angesehen werden (Nr. 10 "Avicenne et le phénomène des écrits pseudoépigraphiques"). Sehr schön führt uns Strohmaier in Beitrag Nr. 11 ("Blut und Blutbewegung im arabischen Galenismus") anhand des kleinen Blutkreislaufs durch die Lunge vor Augen, dass gewisse Errungenschaften der arabischen Naturwissenschaften viel näher als bisher gedacht an den griechischen Vorstellungen entlang formuliert worden sind. Interessanterweise standen andere Autoren als in Europa später üblich in der Gunst der Muslime. Man zog Platon dem Aristoteles und Hippokrates dem Galen vor. (Nr. 8 "Platon in der arabischen Tradition") Darüber hinaus hielt man gerade den Letztgenannten für die Verkörperung eines Gelehrten (12 "The Uses of Galen in Arabic Literature"; 13 "Galen als Hippokrateskommentator. Der griechische und der arabische Befund", 14 "Maimonides als Galenleser"). In allen Texten gelingt es Strohmaier mittels eines angenehm zu lesenden Stils, die nicht immer einfachen Sachverhalte klar und deutlich darzulegen. Dies ist eventuell auch dem Umstand geschuldet, dass der Autor auch zahlreiche einführende Aufsätze für ein breites Lesepublikum geschrieben hat (Nr. 1 "Kopfzerbrechen orientalischer Übersetzer", Nr. 2 "Arabische Astronomie", Nr. 3 "al-Biruni. Ein Gelehrter, den das Abendland übersah", Nr. 4 "Avicenna. Ein Muslim im Kirchefenster" und Nr. 5 "Alhazen - Physik am Rande des Irrsinns") Betrachtet man die Rezeption griechischen Wissens durch die Muslime insgesamt, so darf, wie Strohmaier meint, die Gesamtbedeutung für die islamische Kultur nicht überschätzt werden. Die Beschäftigung mit den griechischen Texten stand immer etwas am Rand der enormen Kulturproduktion in der vormodernen islamischen Welt. Die meisten Ulema lehnten, obgleich sie langfristig entscheidende Denk- und Argumentationsmuster übernahmen, diese als fremd empfundenen Wissenschaften ab. (Nr. 6 "Die Entwicklung der mittelalterlichen Wissenschaft im Islam") Heute benutzen Philologen die auf uns gekommenen arabischen Übersetzungen aus dem Griechischen als Nebenüberlieferungen; oder man kann anhand der Übertragungen Fragmente und Textteile rekonstruieren, die im Original verloren gegangen sind (Nr. 7 "Griechische Philosophen bei den arabischen Autoren des Mittelalters").
Alles in allem also ein Buch mit Aufsätzen zur antiken Naturwissenschaft in orientalischem Gewand, die man allesamt mit großem Gewinn liest.
Stephan Conermann