Abū ʿUbayd al-Qāsim ibn Sallām: Kitāb al-Amwāl. The Book of Revenue. Translated by Imran Ahsan Khan Nyazee. Introduced by Ibrahim M. Oweiss (= Great Books of Islamic Civilization), Reading: Garnet Publishing 2003, xxviii + 581 S., ISBN 978-1-85964-159-0, GBP 22,00
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Als im frühmittelalterlichen Westeuropa an die Erschaffung eines einheitlichen Steuersystems noch nicht zu denken war, begann in den letzten Jahren des 8. Jahrhunderts ein islamischer Gelehrter afghanischer Herkunft in Bagdad über rechtmäßige, das heißt gottgewollte, Steuerangelegenheiten nachzudenken. Ihn beschäftigte vor allem, welche Steuern es unter islamischer Herrschaft geben dürfe, welchen Steuersatz diese haben sollten, wer die Begünstigten dieser Steuern seien und wer das Recht habe, Steuern einzusammeln bzw. sie zu verteilen.
Dieser Gelehrte hieß al-Qāsim, besser bekannt unter seinem Patronym Abū 'Ubaid ("Der Vater des 'Ubaid"). In Herat, im heutigen Afghanistan geboren, studierte er im Irak, bevor er 18 lang das Richteramt in Tarsus, in Südanatolien, innehatte. Abgesehen von seiner Beschäftigung mit dem Steuerrecht, betätigte er sich als Philologe, Jurist und Korankommentator. Er gehört damit zu den großen Gelehrten der klassischen Zeit des Islam.
Die von ihm entwickelte Steuersystematik, schrieb Abū 'Ubaid in einem Buch nieder, das viele Rechtsfälle und Entscheidungen beinhaltet und welches den Titel "Das Buch der (unterschiedlichen) Abgaben (Kitāb al-amwāl)" trägt.[1] Dieses in Arabisch verfasste Werk wurde von Professor Imran Ahsan Khan Nyazee kürzlich in eine gängige europäische Sprache, nämlich das Englische, übersetzt. Diese Übersetzung trägt den Titel "The Book of Revenue (Das Buch der Einnahmen)".
Entsprechend der drei Abgabenarten (amwāl) fai', ḫums und ṣadaqa schildert Abū 'Ubaid die einzelnen Steuern bzw. deren Besteuerungsgrundlage, Höhe und Empfänger. Die fai'-Abgaben sind Steuern auf das Gesamteigentum aller Muslime, dessen Besitzer aber auch Nichtmuslime sein können. Dazu gehört eine Ertragssteuer auf landwirtschaftliche Produkte (ḫarāǧ), die auf dem Land angebaut werden, das zum Gesamteigentum gehört. Auch die Kopfsteuer (ǧizya), die jeder Nichtmuslim entrichten muss, und Wegzölle auf Waren von nichtmuslimischen Händlern zählt Abū 'Ubaid zu den fai'-Abgaben. Die Einnahmen aus diesen Abgaben, deren Höhe variiert, sollen allen Muslimen zu Gute kommen.
Die ḫums-Abgabe wiederum ist ein "Fünft", der bei Erwerb von Kriegsbeute, beim Zutagefördern von Schätzen und Perlen und bei der Mineralienförderung geleistet werden muss. Die Empfänger dieser Abgabe sind im Koran aufgeführt. Dazu gehörten zum Beispiel die Waisen oder die Reisenden.
Die ṣadaqa-Abgabe umfasst verschiedene zakāt-Abgaben, die ein Muslim aus seinem Vermögen auf Gold, Silber, Kamele, Rinder, Schafe, Getreide, Obst und Gemüse an acht ebenfalls im Koran erwähnte Zielgruppen entrichten muss. Zu diesen Gruppen gehören an erster Stelle die Armen und Bedürftigen, weshalb diese Abgaben oft auch "Almosensteuer(n)" genannt werden.
Diese und andere "Richtlinien", etwa die Rolle des Herrschers im Steuererhebungs- und Verteilungsprozess, leitet Abū 'Ubaid aus dem Koran, aus beispielhaften Handlungen des Propheten Mohammed und früher Kalifen, sowie aus Rechtsentscheidungen früherer Juristen ab. Dabei geht er sehr rational vor, argumentiert logisch und überzeugend und präsentiert am Ende einer jeden Fragestellung seine eigene rechtliche Position.
Sowohl diese Art zu argumentieren, als auch die steuerliche Systematik, die Abū 'Ubaid entwickelt, machen das "Buch der Abgaben" zu einem wichtigen und übersetzungswerten Werk. Deswegen ist die hier vorgelegte Übersetzung prinzipiell zu begrüßen, auch wenn bei genauem Vergleich mit dem arabischen Original manche Ungenauigkeit zu Tage tritt. Schon beim Titel des Werkes, der von Imran Nyazee als "The Book of Revenue (Das Buch der Einnahmen)" übersetzt ist, greift der Autor bei der Übersetzung zu kurz, da das Werk nicht nur von Einnahmen sondern auch von Ausgaben handelt. Deswegen sollte es besser als "Das Buch der Abgabenarten" wiedergegeben werden.
Ein viel bedeutenderer faux pas ist dem Übersetzer insofern unterlaufen, als er es unterlassen hat, in der Einleitung zu erwähnen, welche Edition des Kitāb al-amwāl seiner Übersetzung zugrunde liegt. An unerwarteter Stelle (465f., FN IV) erhält der Leser einen Überblick über die existierenden Editionen des Kitāb al-amwāl: Die editio princeps wurde von al-Faqī, Kairo 1934-1935 [=1353], vorgenommen. Die meistgenutzte ist die Edition Ḫalīl Harrās, Kairo 1968 [=1388], die in mehreren Nachdrucken (z.B. Kairo 1981 oder Beirut vom Dār al-kutub al-'ilmīya 1986) erschienen ist. Vermutlich liegt dieser Übersetzung die 3. Auflage der Edition Ḫalīl Harrās (Kairo 1981) zugrunde. Das lässt sich aus dem Fußnotenapparat und einem Kommentar des Übersetzers ("at least not this edition", 465, FN IV) schließen.
An einer Stelle greift der Übersetzer zudem in den Text ein, indem er einen Editionsfehler behebt (465f.). So ergänzt er richtigerweise eine Textlücke in der Edition Ḫalīl Harrās durch zwei Überlieferungen aus der Edition al-Faqī. Dadurch verschiebt sich allerdings die fortlaufende Nummerierung der Überlieferungen in der Übersetzung, so dass sich die Nummern der einzelnen Überlieferungen im arabischen Original und der englischen Übersetzung auf den letzten 100 Seiten nicht mehr entsprechen.
Auch der Fußnotenapparat der Übersetzung ist ungewöhnlich. Er besteht aus zwei Ebenen. In arabischen Zahlen hat der Übersetzer die Anmerkungen des Editors aufgeführt, in römischen Zahlen erlaubt er sich jedoch gelegentlich selbst einen Kommentar zu diesen Anmerkungen oder zum Text des "Buches der Abgaben". Dabei fällt auf, dass diese Kommentare des Übersetzers sich sehr oft kritisch mit denen des Editors auseinandersetzen (182, FN XXVI; 539, FN XIV; 540, FN XV).
Zu den kleineren Schwächen der Übersetzung gehört der Umstand, dass der Übersetzer die Koranübersetzung, die er verwendet, ungenannt lässt und dass einige Namensformen ungewöhnlich vokalisiert sind. Dazu gehören: al-Bilāḏurī anstatt al-Balāḏurī (19), Ibrāhīm an-Naḫ'ī anstatt an-Naḫā'ī (47), Yaṯrab anstatt Yaṯrib (200, 203), al-Maqūqas anstatt al-Muqauqis (143, 256) und Bait al-Maqdas anstatt Bait al-Maqdis (154).
Dennoch ist Imran Nyazee und dem Center for Muslim Contribution to Civilization, welches unter der Schirmherrschaft des Emirs von Qatar, Hāmid bin Ḫalīfa aṯ-Ṯānī, wichtige Werke der islamischen Kultur durch Übersetzungen einer breiteren Leserschaft zugänglich machen will, dafür zu danken, dass es eine englische Version des Kitāb al-amwāl gibt. Um sich einen ersten Eindruck über den Inhalt und die Argumentationsweise des Autors zu verschaffen, ist diese Übersetzung vortrefflich geeignet. Bei einer tieferen wissenschaftlichen Beschäftigung mit der Thematik kommt man um die Originalquelle allerdings nicht herum.
Anmerkung:
[1] Für eine ausführliche Analyse dieses Werkes mit dem Schwerpunkt auf Abū 'Ubaids Steuersystematik und juristischer Argumentationsweise siehe Jens Scheiner: Steuern und Gelehrsamkeit in der frühen 'Abbāsidenzeit. Das Kitāb al-amwāl des Abū 'Ubaid al-Qāsim b. Sallām. In: ZDMG Bd. 162 (2012) Im Druck.
Jens Scheiner