Stephan Conermann: Islamische Welten. Einführung, in: sehepunkte 10 (2010), Nr. 7/8 [15.07.2010], URL: https://www.sehepunkte.de
/2010/07/forum/islamische-welten-137/
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Von Stephan Conermann
Auf dem XVIII. Deutschen Orientalistentag 2001 in Bamberg definierte Bert Fragner als künftige Kernaufgaben der Islamwissenschaft, die philologischen Kompetenzen zu stärken und die Rezeption geistes- und kulturwissenschaftlicher Debatten und Entwicklungen in den von uns als Forschungsgegenstand ausgewählten Ländern weiter aufmerksam, reflektiert und in historischer Tiefe zu verfolgen. Diese von den meisten Fachvertretern verinnerlichten und in der Praxis betriebenen Leitlinien spiegeln sich in vielen islamwissenschaftlichen Publikationen. So lag auch diesem Forum "Islamische Welten" eine Reihe von Büchern zugrunde, die sich inhaltlich und methodisch in dem skizzierten Rahmen bewegen. Gregor Schoelers grundlegendes Werk über das Verhältnis von schriftlichen Materialien zu oralen Traditionen bei der Frage der Wissensvermittlung in der Frühzeit des Islams ist nun dankenswerterweise in einer überarbeiteten Fassung aus dem Französischen in die englische Sprache gebracht worden. (Scheiner über Schoeler) Eine ebenso sinnvolle Übersetzung hat Imran Ahsan Khan Nyazee angefertigt. Seine englische Version von dem "Buch der Abgaben(arten)", das ein gewisser Abu Ubaid im 8. Jahrhundert in Bagdad niederschrieb, ist trotz einiger kleinerer editorischer Schwachpunkte für Studenten wie Forscher von großer Nützlichkeit. (Scheiner über Nyazee) Handschriftenkunde gehört natürlich ebenfalls in das Zentrum einer philologisch ausgerichteten Islamwissenschaft und hat in Deutschland eine lange Geschichte. Wie groß hier das Themenspektrum sein kann, zeigt sehr schön ein von Judith Pfeiffer und Manfred Kropp herausgegebener Sammelband über die Bearbeitung und Überlieferung von orientalischen Manuskripten. (Schüller über Pfeiffer/Kropp) Die europäische Geistesgeschichte wäre ohne die intensive und konstruktive Auseinandersetzung mit dem über arabische Fassungen verbreiteten antiken philosophischen Wissen sicher ganz anders verlaufen. Leider hat man sich auf islamwissenschaftlicher Seite bisher immer nur am Rande (dort aber auf höchstem Niveau!) mit der arabisch-islamischen philosophischen Tradition beschäftigt. Aus diesem Grund ist die Erschlie¬ßung der von Ibn Sina (Avicenna, 980-1037) entworfenen Konzeption des Transzendentalen innerhalb einer weitgehend entwickelten Metaphysik, die ein seit langer Zeit bestehendes islamwissenschaftliches Desideratum darstellte, mehr als willkommen. (Conermann über Koutzarova)
Sammelbände sind, wie schon häufiger bemerkt, nur selten homogen. Meistens handelt es sich doch nur um ein Nebeneinander von mehr oder minder lose zusammenhängenden Artikeln unterschiedlicher Qualität. Den wenigsten Herausgebern gelingt es, die Beiträger auf eine gemeinsame Fragestellung zu verpflichten, eine Kunst, die in Deutschland ja auch manchen Antrag auf eine DFG-Forschergruppe scheitern lässt Diese Schwäche weisen alles in allem auch die besprochenen Werke zu Humor in der arabischen Kultur und zu 1001 Nacht als interkulturellem Text auf. Beide Bände bieten jedoch viele interessante Einzelaspekte zu den bearbeiteten Themen. (Schüller über Tamer und über Makdisi)
Die Moderne berührt in diesem Forum nur die Studie von Sabine Damir-Geilsdorf. Gegenstand der Abhandlung sind die palästinensischen Erinnerungen an die Staatsgründung Israels am 14. Mai 1948 und an den unmittelbar darauf folgenden ersten arabisch-israelischen Krieg. Diese Ereignisse sind unter dem Stichwort "Nakba" in das kollektive Gedächtnis der Palästinenser eingegangen. Die Verfasserin liefert mit ihrer Analyse der unterschiedlichen Narrativierungen des Geschehens einen wichtigen Baustein zum Verständnis der palästinensischen Erinnerungskulturen. (Conermann über Damir-Geilsdorf)
Einen wirklich nur ersten Einstieg in die Geschichte der Assassinen bzw. in das islamische Völkerrecht leisten zwei weitere Bücher. Beiden mangelt es offenbar eindeutig an Wissenschaftlichkeit sowie an einem theoretischen und methodischen Bewusstsein. (Schüller über Millimono und über Salem)
Schließlich findet sich in den "Islamischen Welten" noch die Besprechung einer dezidiert sozialwissenschaftlich ausgerichteten Arbeit. Im Zentrum der Studie steht die soziologisch-ethnologische Beschreibung der Organisationsstruktur, der Überlebensstrategien und der Netzwerke von aus Bangladesch stammenden Migranten in Malaysia. Die Herangehensweise und die Ergebnisse, zu denen die Autorin kommt, zeigen, dass diese Form des wissenschaftlichen Arbeitens dringend in den islamwissenschaftlichen Horizont aufgenommen werden sollte. (Conermann über Sultana)
Ich wünsche allen viel Spaß bei der Lektüre!