Werner Benecke / Grzegorz Podruczny (Hgg.): Kunersdorf 1759. Kunowice 2009. Studien zu einer europäischen Legende. Studium pewnej europejskiej legendy (= Thematicon. Wissenschaftliche Reihe des Collegium Polonicum; Bd. 15), Berlin: Logos Verlag 2010, 208 S., ISBN 978-3-8325-2504-0, EUR 39,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Sven Externbrink (Hg.): Der Siebenjährige Krieg (1756-1763). Ein europäischer Weltkrieg im Zeitalter der Aufklärung, Berlin: Akademie Verlag 2011
Uwe A. Oster: Sein Leben war das traurigste der Welt. Friedrich II. und der Kampf mit seinem Vater, München / Zürich: Piper Verlag 2011
Brunhilde Wehinger / Günther Lottes (Hgg.): Friedrich der Große als Leser, Berlin: Akademie Verlag 2012
Ute Frevert: Gefühlspolitik. Friedrich II. als Herr über die Herzen?, Göttingen: Wallstein 2012
Uta Lindgren / Karl Schnith / Jakob Seibert (Hgg.): Sine ira et studio. Militärhistorische Studien zur Erinnerung an Hans Schmidt, Kallmünz: Michael Laßleben 2001
Gerhard von Scharnhorst: Private und dienstliche Schriften. Bd. 1: Schüler, Lehrer, Kriegsteilnehmer (Kurhannover bis 1795). Hrsg. v. Johannes Kunisch. Bearbeitet von Michael Sikora und Tilman Stieve, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2002
Patrick J. Speelman (ed.): War, Society and Enlightenment. The Works of General Lloyd, Leiden / Boston: Brill 2005
Jahrestage bieten immer willkommene Anlässe zu wissenschaftlicher und publizistischer Aktivität. Oftmals geht die Initiative dazu gewissermaßen "von unten" aus. Für lokale oder regionale Vereinigungen und Veranstalter ergibt sich die Möglichkeit, jene Momente zu thematisieren, an denen ihre Heimat zum Schauplatz von Geschehnissen wurde und dadurch ihren "Platz in der Geschichte" fand. Das gilt in ganz besonderer Weise für Orte, wo - nicht selten allein aufgrund ihrer topographischen Lage und zufälliger Konstellationen - militärische Großereignisse, hier besonders Schlachten, stattfanden.
Sie spielen zwar in den großen Geschichtserzählungen seit deren Abwendung von der klassischen Kriegsgeschichte eine immer geringere Rolle, ihren Ergebnissen wird jedoch immer noch eine, aus Desinteresse freilich nicht näher überprüfte, dezisive Wirkung zugeschrieben. Ihre erinnerungspolitische Bedeutung als Anlass nationaler Heldengedenktage und Feiern haben sie zumal in Deutschland endgültig eingebüßt. Auch die moderne militärgeschichtliche Forschung ist sich unsicher, mit welchen Methoden und Fragestellungen sie heute mit der Geschichte von Schlachten und Operationen umgehen soll, die einst als Exempel kriegerischen Handelns und Führens extensiv bearbeitet wurden. Hier bietet die regionale Perspektive Chancen. Schlachten bleiben am Ort des historischen Geschehens präsent, sei es durch Spuren von Schanzen und Gräben in der Landschaft, sei es durch physische Überbleibsel wie Kanonenkugeln und Uniformknöpfe, die noch nach Jahrhunderten gefunden werden oder schließlich durch die Denkmäler früherer Erinnerungskultur.
Der anzuzeigende Band reflektiert diesen Befund; die Schlacht von Kunersdorf am 12. August 1759, blutiges Großereignis des Siebenjährigen Krieges, spielt heute für die historische Erinnerung keine besondere Rolle mehr. Dass eine aus russischen und österreichischen Truppen bestehende Streitmacht damals die preußische Hauptarmee besiegte und damit beinahe den Krieg zuungunsten Friedrichs des Großen entschieden hätte, ist als historische Episode nur mehr den wirklich Interessierten bekannt. Dass die eindeutige Schlachtentscheidung keinerlei entscheidende Wirkung auf den weiteren Kriegsverlauf hatte, hatte Gründe, die jenseits vom Schauplatz des Gemetzels lagen. So zählte Kunersdorf auch nicht zu den "Entscheidungsschlachten der Geschichte". Der damals brandenburgische Ort des Geschehens, jenseits der Oder nahe Frankfurt, liegt im heutigen Polen. Eine nationale Identifikation mit den damaligen Kriegsparteien liegt hier noch weniger vor als bei anderen Kriegsereignissen jener Epoche. Selbst lokale Traditionen existieren seit dem gewaltsamen Bevölkerungsaustausch nach 1945 nicht mehr.
Dennoch ist hier, ausgehend von den Aktivitäten polnischer Historiker und Archäologen und als europäisches Kooperationsprojekt besonders gefördert, ein bemerkenswerter Versuch unternommen worden, eine Schlacht des 18. Jahrhunderts aus verschiedenen Perspektiven neu zu erkunden. Dies ist unbedingt zu begrüßen, zeigt es doch eine Möglichkeit, sich solchen zu Unrecht vernachlässigten Themen neu anzunähern. Es zeigen sich freilich auch die Probleme eines solchen Unterfangens.
Der einleitende Aufsatz des erfahrenen Potsdamer Militärhistorikers Martin Rink beschreibt den Hergang der Schlacht knapp und treffend. Er fügt ihn in den weiteren Verlauf des Krieges ein und stellt die Schlacht kenntnisreich in den Rahmen der friderizianischen Kriegskunst des 18. Jahrhunderts. Der anschließende Beitrag Jannis Wagners, "Von unten gesehen - die Armeen des absolutistischen Zeitalters im Erleben der Soldaten" bringt dagegen leider nur längst bekannte Zitate zum Kriegs- und Soldatenleben des 18. Jahrhunderts aus literarischen Erinnerungswerken, von Bräker bis Seume, ohne speziellen Bezug auf die Schlacht von Kunersdorf.
Dafür stehen die beiden nächsten Aufsätze direkt auf dem märkischen Sand. Grzegorz Podruczny und Jakub Wrozek beschäftigen sich mit topographischen und archäologischen Untersuchungen des Schlachtfeldes, mit den russischen Feldbefestigungen und Funden von Munitionsresten. Sie zeigen, dass deren genaue Lokalisierung einen wesentlichen Beitrag zur Aufklärung des Schlachtverlaufes liefern kann. Bei diesen sehr detaillierten Untersuchungen zur militärischen Ereignisgeschichte macht sich freilich, mehr noch als bei der Überblicksdarstellung von Rink, das Fehlen geeigneter Karten schmerzhaft bemerkbar, so dass der interessierte Leser auf zusätzliche militärgeschichtliche Spezialliteratur angewiesen ist.
Es folgt ein sehr knapper und allgemein gehaltener Text von Manfred Sturzbecher über die zeitgenössische medizinische Versorgung von Armeen und Zivilbevölkerung.
Nur am Rande mit der Schlacht von Kunersdorf, aber dafür mit einem bisher in der außerpolnischen Forschung völlig vernachlässigten Aspekt des Siebenjährigen Krieges beschäftigt sich ein Aufsatz von Janusz Karwat: "Großpolen als Versorgungsbasis der russischen Armee im Feldzug 1758 und 1759." Hier wird deutlich, welche wichtige Rolle diese westlichen Gebiete der polnischen Adelsrepublik für die Kriegführung spielten und wie deren offizielle Neutralität von beiden Seiten missachtet wurde. Die Lektüre zeigt, dass die übliche Konzentration der Forschung auf die offiziell involvierten Staaten und Armeen gerade für diese Epoche mit ihren noch unscharfen Territorialgrenzen zu kurz greift. Weitere Studien und Veröffentlichungen wären dringend wünschenswert.
Das Thema der deutschen und russischen Erinnerungskultur an die Schlacht von Kunersdorf umreißt Werner Benecke, wobei besonders interessant ist, wie im Zweiten Weltkrieg das Geschehen von Kunersdorf zum Symbol fanatischen Durchhaltewillens auf deutscher und des großen Sieges über "Preußen" auf sowjetischer Seite wurde. So ist es nur konsequent, dass der folgende Beitrag von Joachim Schneider die frühneuzeitliche Szenerie verlässt und die Kämpfe um die Gegend von Kunersdorf vom 29. Januar bis zum 5. Februar 1945 thematisiert. Hier wurde der Ort erneut zum Schlachtfeld, aber eben anders als im August 1759 nicht als Zentrum eines räumlich und zeitlich eng begrenzten Ereignisses, sondern als mikroskopischer Teil des blutigen Frühjahrs 1945.
Am Schluss beschäftigt sich Lothar Jordan von literaturwissenschaftlicher Seite mit der zeitgenössischen und späteren Rezeption des "Heldentodes" des Dichters Christian Ewald von Kleist, der als preußischer Offizier in der Schlacht umkam. Auch wenn der "Kleistturm" auf dem Schlachtfeld 1945 von der sich zurückziehenden Wehrmacht gesprengt wurde, sind sein Grab in Frankfurt/Oder und zwei Gedenksteine auf dem Schlachtfeld die heute am ehesten wahrgenommenen Denkmäler der Schlacht.
Das Fazit des Rezensenten ist zwiespältig: Die Entscheidung, den Band komplett zweisprachig herauszugeben und alle Beiträge zu übersetzen, war in realistischer Einschätzung der beiderseits der Oder geringen Kenntnisse der Nachbarsprache konsequent. Freilich bedeutet dies auch, dass in dem ohnehin schmalen und trotzdem nicht billigen Band nur etwa 100 Seiten Text in jeder Sprache übrig bleiben. Bei zehn qualitativ und quantitativ sehr unterschiedlichen Beiträgen aus verschiedenen Fachgebieten ist das schon sehr wenig. Der unbedingt begrüßenswerte Versuch, der Geschichte einer Schlacht multiperspektivisch auf neuen Wegen beizukommen, ist hier noch nicht wirklich gelungen.
Daniel Hohrath