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Michael Kaiser: Friedrich der Große und Preußen - Neuerscheinungen zum Jubiläumsjahr 2012. Einführung, in: sehepunkte 12 (2012), Nr. 9 [15.09.2012], URL: https://www.sehepunkte.de
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Friedrich der Große und Preußen - Neuerscheinungen zum Jubiläumsjahr 2012

Einführung

Von Michael Kaiser

Der sich zum 300. Mal jährende Geburtstag des preußischen Königs stellt ein historisches Jubiläum dar, für das sich im Gegensatz zu vielen anderen eben nicht nur die Zunft der Fachleute interessiert, sondern das von vornherein in der breiten Öffentlichkeit einen großen Raum einnimmt. Friedrich der Große, das war seit längerem absehbar, ist ein mediales Großereignis geworden, das im Rundfunk, im Fernsehen und im Internet, aber auch in den Printmedien einen starken Niederschlag gefunden hat. Das Jubiläum zeigt ganz nebenbei, dass Medien einander kaum Konkurrenz machen, sondern sich vielmehr durch wechselseitige Bezüge verstärken: Bücher zum Thema sind ungeachtet der geradezu allgegenwärtigen Aufbereitung in anderen Medien in Hülle und Fülle erschienen.

Schon die Feuilletons seit Ende 2011 und dann vor allem im Umkreis des Geburtstags am 24. Januar selbst sahen den Buchmarkt von Friedrich-Biographien überflutet [1], ja "kiloweise" seien Bücher zu diesem Thema erschienen. [2] "Bücher, Bücher, aber welche soll man lesen?" fragte Gustav Seibt bereits im vergangenen November in seiner Sammelrezension. [3] Die Frage hat sich seitdem nicht erledigt, eher verschärft. Sie kann im Folgenden nur teilweise beantwortet werden: Es handelt sich nicht durchweg um Leseempfehlungen, und dieses FORUM bietet auch nicht den kompletten Überblick über alle Erscheinungen zu Friedrich und Preußen im Jubiläumsjahr. Aber die Besprechungen mögen Orientierung schaffen in einem zusehends unübersichtlichen Feld an Publikationen.

Viele Neuerscheinungen sind nicht explizit als Biographien angelegt. Das Jubiläum hat nicht solche umfängliche Biographien stimuliert, wie sie vor Generationen noch üblich waren. Es handelt sich eher um biographische Porträts. Möglicherweise ist dies schon ein Reflex auf die generelle Modularisierung historischer Themen, die - sei es für den Studenten oder sei es für den Geschichtsinteressierten - handhabbar sein und deswegen in kurze Abschnitte tranchiert werden müssen. Wenn es fast gar nicht mehr die Biographie als Lebensbeschreibung von der Wiege bis zur Bahre gibt, so sind an ihre Stelle Überblicksdarstellungen getreten, die das Wirken des Königs auf verschiedene Aspekte reduzieren oder ihm einzelne Rollen zuweisen. So geschehen etwa in dem gelungenen biographischen Abriss von Ewald Frie (Meier).

Es zählt weniger das Narrative oder das große Zeitgemälde, vielfach gelingt die Einordnung Friedrichs in seine Epoche über eine starke Pointierung, indem einzelne Aspekte hervorgehoben werden: Bei Burgdorf ist dies die Homophilie (Sachse), bei Henze-Döhring die Musik (Waczkat), bei Frevert - mehr Essay als Biographie - die "Gefühlspolitik" (Eckert). Auch Overhoff gelingt eine überzeugende Darstellung mithilfe der zuletzt öfters wiederbelebten Form der Parallelbiographie, indem er Friedrich und George Washington aneinander spiegelt (Schmid). Wie weit dieser Ansatz bei konsequenter Anwendung führen kann, zeigt wohl am besten das Buch von Luh, der in den "auf den ersten Blick fast willkürlich gewählten Kapiteln (Ruhmsucht, Hartnäckigkeit, Eigensinn und Einsicht)" (Meier) eine Reduzierung des Königs auf den als wesentlich erkannten Aspekt der Größe vollzieht und damit der Persönlichkeit Friedrichs sehr nahe kommt.

Dass diese Bücher wie überhaupt die meisten der hier vorgestellten Werke sich explizit das Prädikat "lesbar" von ihren Rezensenten verdienen, soll überhaupt nicht als Malus verstanden werden, sondern kann vielmehr als Indiz dafür gelten, dass Historiker publikumsorientierter schreiben als früher. Wenn also in dem Fall ein Großjubiläum wie Friedrichs 300. Geburtstag diese Tendenzen befördert hat, ist das nur zu begrüßen. Dies gilt besonders auch dann, wenn das wissenschaftliche Genre verlassen wird: Mit der Novelle über Voltaire und Friedrich legt Schädlich ein Buch vor, das nicht im strengen Sinne wissenschaftlich verbindlich ist, aber mit einer eigenen Stringenz formuliert und plausibel darstellt (Zielosko). An anderen Stellen allerdings werden auch die Hypotheken eines jahrzehntelang gepflegten Friedrichbildes deutlich. Immer wieder wird auf überkommene Deutungen der älteren Forschung verwiesen - gerade wenn ein Werk sich nur einem Spezialthema widmet (vgl. die Arbeiten von Henze-Döhring und Oster).

Neben diesen durchweg gelungenen Werken gibt es ein weites Feld von Publikationen, das im Rahmen dieses FORUMS nur teilweise überblickt werden kann. Viele Bücher zielen auf ein Publikum, das weit über die engeren Fachgrenzen hinweg gesucht wird (vgl. die Besprechung von Kaluzu). Dieses Ansinnen verleitet allerdings kaum einen Autor dazu, sein Sujet auf die leichte Schulter zu nehmen; oftmals sind diese Bücher gut recherchiert und vermeiden offensichtliche Fehler. Freilich gibt es auch augenscheinlich schnell verfertigte Publikationen, die auf ungenügender Kenntnis beruhen und, von den Rezensenten gewogen, für zu leicht befunden werden - etwa die Biographie von Bendikowski (Hahn), und noch mehr das Hohenzollern-Buch von Klußmann / Pötzl, "ein Buch, das niemand braucht" (Altendorf).

Wer angesichts der jubiläumsorientierten Literatur ermüdet, kann aber auch auf die übliche Forschungsliteratur zurückgreifen; sie hat in den vergangenen Jahren nicht pausiert und eine ganze Reihe von neuen Erkenntnissen hervorgebracht. Auch hier wird nur ein Ausschnitt, keine Gesamtschau geboten. Vorneweg sei das gewichtige und Grundlagen schaffende Handbuch von Straubel zum Kollektivkörper der brandenburg-preußischen Bürokratie vom Regierungsantritt Friedrichs bis zum Zusammenbruch des Alten Preußen erwähnt (Mainka). Zu erwähnen sind weiterhin die Arbeiten über den Kronprinzenprozess, für die vor allem Jürgen Kloosterhuis verantwortlich ist (Kaiser). Sie rücken bezeichnenderweise - und ungeachtet der nicht zu bestreitenden Relevanz dieser Episode für die Biographie Friedrichs - nicht so sehr den Kronprinzen als vielmehr seinen Freund Katte und seinen Vater Friedrich Wilhelm in den Vordergrund.

Ein thematischer Schwerpunkt in der Forschung ist aber im Bereich der Militär- und Kriegsgeschichte auszumachen. Kein Wunder bei diesem König, der einst zum Rendezvous mit dem Ruhm in den Krieg zog. Deutlich wird hieran aber auch die neue Selbstverständlichkeit, militärhistorisch zu arbeiten - eine Tendenz, die hilft, die Wahrnehmung Friedrichs in der Balance zu halten, dessen Biographie und Persönlichkeit vom Etikett des aufgeklärten Monarchen nur unzureichend gekennzeichnet sind. Dabei steht die Figur des Königs gar nicht so sehr im Vordergrund. Wichtig ist sicherlich, Ferdinand von Braunschweig, einem der herausragenden Militärs des 18. Jahrhunderts und damit auch einem Mitgaranten für den kriegerischen Erfolg Preußens, die längst überfällige historische Aufmerksamkeit zu zollen (Luh zu Mediger / Klingebiel). Der Sammelband zum Siebenjährigen Krieg führt beinahe schon wieder weg von Friedrich, ja marginalisiert ihn geradezu, wenn die Perspektive eines "europäischen Weltkriegs" betont wird. Auch dies freilich eine notwendige Weitung der historischen Perspektive (Kroll zu Externbrink). Etwas älter ist schon die Studie zur Schlacht von Kunersdorf von 1759 - eine der bitteren Stunden der friderizianischen Kriegsgeschichte. Dabei werden nicht nur die Ereignisse selbst thematisiert, sondern auch die Fortwirkung des Mythos Kunersdorf in der historischen Tradition (Hohrath zu Benecke / Podruczny).

Noch konsequenter auf die Rezeptionsgeschichte setzt die Studie Bömelburgs zum Friedrich-Bild zwischen Deutschland und Polen, eine wirklich herausragende Arbeit, die die schwierige Thematik souverän und engagiert meistert (Wijaczka zu Bömelburg). Das Werk stellt einen bemerkenswerten Beitrag zur Rezeptionsgeschichte dar, die sonst vor allem in der Ausstellung des Deutschen Historischen Museums "Friedrich der Große. verehrt. verklärt. verdammt" aufgegriffen wird. [4]

Dass Preußen wieder chic ist, hat Hans-Ulrich Wehler schon vor fast 30 Jahren festgestellt. Mittlerweile ist, wie man ergänzen kann, Friedrich längst eine Kult-Figur geworden; Christopher Clark hat unlängst diagnostiziert, dass Friedrich mittlerweile ein Markenzeichen geworden sei, im Alltag und im Unterbewusstsein der Menschen allenthalben präsent. [5] Dies führt aber offenkundig nur selten zu offensiven Bestrebungen, den König zu vereinnahmen. Am offensichtlichsten hat dies noch Bisky in seinem als "Lesebuch" firmierenden Versuch getan und von "Unser[em] König" gesprochen. Dabei ist die im Titel aufscheinende Distanzlosigkeit und Vereinnahmung im Buch selbst aber so nicht gemeint; letztlich bleibt die Begrifflichkeit "rätselhaft" (Kaluza zu Bisky). Auffälliger ist da schon die Beobachtung, dass es nur wenig kritische Stimmen zu Friedrich gibt; man muss sich, so scheint es, gar nicht mehr wertend zu ihm verhalten oder gar eine kritische Distanz wahren; es reicht völlig, wenn man sich zu ihm äußert. Dass eine heldische Überhöhung nicht in Frage kommt, gilt offenbar genauso als Konsens wie die Vermeidung eines denkmalstürzlerischen Ansatzes. Friedrich wird nicht mehr schwärmerisch und unkritisch oder gar überschwänglich geliebt, aber eben auch nicht mehr gehasst und verteufelt.

Vielmehr entrinnt auch dieser König des 18. Jahrhunderts nicht dem heutigen Trend, in einem Sammelband "europäisiert" zu werden (Duchhardt zu Sösemann / Vogt-Spira). Der Europabezug ist vielleicht etwas zu sehr einem gegenwärtigen Verständnis geschuldet, als dass er den Beiträgen dieses Sammelbands zu einem wirklichen interpretatorischen Fluchtpunkt verhilft. Weniger einem gegenwärtigen Schlagwort, sondern vielmehr dem Bemühen, sich dem König anzunähern, sind die beiden Publikationen verpflichtet, die die im Neuen Palais in Potsdam beheimatete Ausstellung dokumentieren. Das hier gewählte Stichwort "Friederisiko" - mag auch dieser Begriff manchem manieriert erscheinen - verweist auf das Hasardeurhafte als Leitmotiv im Leben des Königs und wählt damit immerhin einen dem Selbstverständnis Friedrichs selbst entlehnten Fluchtpunkt für die Beschäftigung mit ihm (vgl. Braun über die Begleitbände zur Ausstellung 'Friederisiko'). Die Ausstellung selbst hat Maßstäbe gesetzt und damit ihrerseits den Stellenwert der Jubiläumsveranstaltungen auch als kulturelle Ereignisse des Jahres 2012 unterstrichen. [6]

Wenn in den Bänden zur Potsdamer Ausstellung eigens auf die Desiderate hingewiesen wird (vgl. Braun), zeigt das auch eine Gefahr, die von diesem Jubiläum ausgeht: Dass nämlich die Figur Friedrichs, schon jetzt völlig überdimensioniert, auch weiterhin das Bild Preußens und der Hohenzollern in dieser Zeit prägen, ja dominieren wird. Dabei hat das 200. Todesjahr des Prinzen Heinrich im Jahr 2002 gezeigt, wie erkenntnisfördernd es sein kann, einen nachgeborenen Prinzen aus dem Schatten des allzu überragenden königlichen Bruders Friedrich zu holen. [7] Nicht nur die Erforschung einiger anderer Familienmitglieder steht nach wie vor aus, auch andere Aspekte der Regierungszeit Friedrichs harren weiterhin ihrer wissenschaftlichen Aufarbeitung. Insofern sollte das Jubiläum von 2012 dringend auch als Ausgangspunkt verstanden werden, um die weitere Erforschung nicht nur Friedrichs, sondern der friderizianischen Zeit insgesamt voranzutreiben.

Was lässt sich abschließend über dieses Friedrich-Jubiläum im Spiegel der Publikationen festhalten? Zunächst einmal ist deutlich geworden, wie normal die Beschäftigung mit Friedrich geworden ist. So ist etwa ein wirklicher Streit, der auch nur einen Ansatz von Erbitterung zeigt, nirgends auszumachen. Selbst die schon ab und zu aufflackernde Frage, ob der König denn wirklich ein Großer war, erscheint eher reflexhaft, aber kaum ernsthaft gestellt. Das muss man nicht bedauern, denn offenbar ist die (nötige) Historisierung Friedrichs in vollem Gange. Daraus resultiert aber womöglich eine gewisse Abgeklärtheit, mit der die Öffentlichkeit dieses Jubiläum in aller Lockerheit, die Fachwissenschaft in aller Professionalität feiert. So war der Festakt zu Friedrichs 300. Geburtstag im Konzerthaus in Berlin eine atmosphärisch entspannte Veranstaltung. [8] Eine tiefer gehende Bedeutung wird dieser Persönlichkeit für die Gegenwart offenbar nicht mehr beigemessen. So wie es keinen Streit um Friedrich mehr gibt, ist auch die versuchte Vereinnahmung nicht mehr vorhanden. Und das ist wahrlich kein schlechter Befund für ein Preußen-Jubiläum.

Anmerkungen:
[1] Vgl. Günter de Bruyn in: Die Welt, 5.11.2011.
[2] Harald Asel im inforadio, 24.1.2012. - Weitere Sammelbesprechungen von Andreas Kilb in der FAZ vom 5.10.2011 und 22.1.2012.
[3] Süddeutsche Zeitung, 18.11.2011.
[4] Siehe dazu die Besprechung von Eckhard Fuhr in der Berliner Morgenpost vom 21.3.2012, ebd. auch eine Sonderbeilage zur Ausstellung.
[5] Christopher Clark: Friedrich II. Festvortrag zum 300. Geburtstag am 24. Januar 2012, in: Friedrich300 - Studien und Vorträge. Studien und Vorträge zur preußischen Geschichte des 18. Jahrhunderts, hg. von der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg. http://www.perspectivia.net/content/publikationen/friedrich300-studien/clark_friedrich/#absatz4 (12.9.2012).
[6] Vgl. etwa dazu Alexander Cammann in: Die Zeit, 19.4.2012, Andreas Kilb in: FAZ, 28.4.2012, und Gustav Seibt in: Süddeutsche Zeitung, 28.4.2012.
[7] Prinz Heinrich von Preussen - ein Europäer in Rheinsberg. Katalog zur Ausstellung in Schloss Rheinsberg vom 4. August bis 27. Oktober 2002, München 2002.
[8] Siehe dazu Nikolaus Bernau in: Berliner Zeitung, 25.1.2012: "Viel Prominenz und Heiterkeit beim Festakt zum 300. Geburtstag von Friedrich II. im Konzerthaus Berlin".

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