Grit Heidemann / Tanja Michalsky (Hgg.): Ordnungen des sozialen Raumes. Die Quartieri, Sestieri und Seggi in den frühneuzeitlichen Städten Italiens, Berlin: Dietrich Reimer Verlag 2012, 261 S., 73 s/w-Abb., ISBN 978-3-496-01466-9, EUR 39,00
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Der Sammelband befasst sich mit der Frage, wie sich in der räumlichen Ordnung der Stadt soziale Ordnungen konstruieren. Ein besonderer Schwerpunkt liegt dabei auf den Vierteln der frühneuzeitlichen italienischen Städte. Dies ergibt sich aus den Forschungsinteressen der Mitwirkenden am Sammelband, der daher vorwiegend Architekturgeschichte mit Kunstgeschichte und sozialen Analysen verbindet. Der Sammelband ist das Ergebnis einer Tagung, die im Juni 2010 an der Universität der Künste in Berlin durchgeführt wurde. Gefragt wird, wie sich soziale Ordnungen in der frühneuzeitlichen Stadt in konkrete Räume eingeschrieben und manifestiert haben und wie das Räumliche sozial konstruiert worden ist. Dazu wird ein weiter Bogen von Kategorien aufgespannt, die die Herausgeberin in ihrer Einleitung mit Gestalt, Funktion, Performanz und visueller und textueller Vermittlung der Stadt benennt. In den einzelnen Beiträgen werden dann noch weitere Theoriefragmente zitiert, so etwa "symbolic landscape", "mental maps", "räumliche Praktiken" und "Erinnerungstopographie".
Explizit Bezug genommen wird in der Einleitung auf den Spatial Turn, ohne dass dabei nach meinem Eindruck die eigentlichen Implikationen des Ansatzes voll zum Tragen kommen. Nach Lefebvre und stärker noch nach Soja hat der Raum als Grundkategorie in der Postmoderne das Soziale ersetzt. Die Grundidee von Soja war es dabei vorrangig, die empirisch zu beobachtende Fraktionierung des Städtischen zu erklären. Diese Fraktionierungen lassen sich nach Soja nicht mehr in zeitlicher Abfolge, sondern nur noch als verschiedene räumliche Strukturierungen fassen. [1] Die eigentliche Frage für den Sammelband wäre daher gewesen, inwieweit sich selbst lange vor der "Moderne" der städtische Raum in seinen verschiedenen Manifestationen strukturiert und als synchron, nicht historisch-soziologisch zu interpretierendes Medium Macht, Wirtschaft, Kommunikation usw. bestimmt.
Stattdessen geht es sowohl in der Einleitung als auch in den diversen Beiträgen des Sammelbandes um den klassischen Ansatz, aus der Topografie der frühneuzeitlichen Stadt auf die soziale Ordnung dieser zu schließen. Dazu werden eher übliche Kategorien wie der Vergleich sozialer Räume, die Differenz von Innen- und Außenraum, die Performanz sozialer Ordnung und die Erinnerung und Dokumentation sozialer Räume analysiert. Das wichtigste Ergebnis des Bandes ist es insofern, "dass die Stadtviertel der frühneuzeitlichen Städte ein grobes Raster vorgeben, innerhalb derer sich die sozialen Ordnungen der jeweiligen Gesellschaften entfalten." (17)
Dies ist als Erkenntnis zwar nicht unbedingt neu, bietet aber in den einzelnen Aufsätzen des Sammelbandes durchaus interessante Einblicke in die räumliche Ordnung der frühneuzeitlichen italienischen Stadt - nicht jedoch wegen der fehlenden Parallelen zur Stadt überhaupt. Thematisiert werden, neben Trani und Florenz (jeweils ein Beitrag), vor allem Venedig (drei Beiträge) und insbesondere Neapel (sechs Beiträge). Im Einzelnen geht es dann wiederum um die im Prinzip gut erforschten Faktoren der spätmittelalterlichen bzw. frühneuzeitlichen Stadtgeschichte: religiöse Minderheiten bzw. Juden, kirchliche Institutionen bzw. einzelne Kirchen und kirchliche oder säkulare Festlichkeiten, Heiligenkult, den Adel als Machtträger, Plätze, Topografie, Darstellung der Stadt in der Kunst sowie die Architektur überhaupt. In allen Beiträgen wird jeweils belegt, wie groß die Bedeutung der Viertel als räumlich-soziale Einheiten für die frühneuzeitliche Stadt Italiens war: für das Zusammenleben mit Minderheiten, den Adel, die Religion und besonders für die Wahrnehmung des Raumes.
Wegen der im Wesentlichen kunstgeschichtlichen Ausrichtung fallen interessante Fragestellungen zur räumlichen Struktur der frühneuzeitlichen Stadt Italiens weitgehend fort: Wirtschaftstätigkeit etwa, sozialräumliche Differenzierung oder soziale Ungleichheit. Der städtische Raum wird insofern - so ein wichtiger Kritikpunkt - vor allem als doch wieder ästhetische Kategorie interpretiert. Wegen der sprachlichen Vielfalt der Beiträge (Deutsch, Italienisch, Englisch, Französisch) hätte man sich für alle Aufsätze deutsche oder besser noch englische Abstracts gewünscht.
Der Sammelband liefert einige wichtige Details über die symbolische Topografie besonders der frühneuzeitlichen Städte Neapel und Venedig, bleibt aber ansonsten weit hinter jenen Erwartungen zurück, die der ambitionierte Titel weckt.
Anmerkung:
[1] Vgl. Henri Lefebvre: La révolution urbaine, Paris 1970 und besonders: Edward W. Soja: Postmodern Geographies. The Reassertion of Space in Critical Social Theory, London 1989, 39ff.
Detlef Briesen