Rezension über:

Petra Behrens: Regionale Identität und Regionalkultur in Demokratie und Diktatur. Heimatpropaganda, regionalkulturelle Aktivitäten und die Konstruktion der Region Eichsfeld zwischen 1918 und 1961 (= Historische Grundlagen der Moderne; 6), Baden-Baden: NOMOS 2012, 360 S., ISBN 978-3-8329-7655-2, EUR 64,00
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Rezension von:
Henrik Bispinck
Abteilung Bildung und Forschung, BStU, Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Dierk Hoffmann / Hermann Wentker im Auftrag der Redaktion der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte
Empfohlene Zitierweise:
Henrik Bispinck: Rezension von: Petra Behrens: Regionale Identität und Regionalkultur in Demokratie und Diktatur. Heimatpropaganda, regionalkulturelle Aktivitäten und die Konstruktion der Region Eichsfeld zwischen 1918 und 1961, Baden-Baden: NOMOS 2012, in: sehepunkte 14 (2014), Nr. 1 [15.01.2014], URL: https://www.sehepunkte.de
/2014/01/22742.html


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Petra Behrens: Regionale Identität und Regionalkultur in Demokratie und Diktatur

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Die aus einer Dissertationsschrift hervorgegangene Arbeit von Petra Behrens folgt einem jüngeren Trend in der Zeitgeschichtsforschung, der sich mit Fragen regionaler Identität und der Konstruktion von Heimat insbesondere in Diktaturen befasst. Mit ihrem systemübergreifenden Ansatz schließt sie an die Arbeiten von Willi Oberkrome zu den Regionen Westfalen-Lippe und Thüringen und von Thomas Schaarschmidt zur Regionalkultur und Heimatbewegung in Sachsen an. Die Region Eichsfeld weist insofern eine Besonderheit auf, als sie nicht nur auf unterschiedliche Länder des Deutschen Reiches, sondern nach 1945 auch auf die beiden Deutschlands aufgeteilt war: Das Obereichsfeld gehörte zur DDR, das Untereichsfeld zur Bundesrepublik. Das ermöglicht es Behrens, über den methodisch an sich schon anspruchsvollen historischen Längsschnitt hinaus auch eine synchrone Vergleichs- und Beziehungsgeschichte zu schreiben.

Das in der geographischen Mitte der heutigen Bundesrepublik gelegene Eichsfeld ist historisch geprägt durch die langjährige Zugehörigkeit zum Kurfürstentum Mainz, aus der ein sehr hoher Katholikenanteil in der Bevölkerung resultiert, weshalb die Region eine "katholische Insel" innerhalb ansonsten mehrheitlich protestantischer Gebiete darstellt. Traditionell war das Eichsfeld von relativer Armut, steter Abwanderung und einem hohen Anteil von Wanderarbeitern gekennzeichnet. Nicht zuletzt aufgrund dieser Spezifika attestiert Behrens der Bevölkerung ein "ausgeprägtes regionales Bewusstsein" (32), das die Region zum Untersuchungsgegenstand für Fragen von Heimatkultur und regionaler Identität prädestiniere.

Die zentrale Fragestellung der Autorin zielt zum einen auf den Einfluss diktatorischer und demokratischer Machtstrukturen auf die Entfaltungsmöglichkeiten regionalkultureller Aktivitäten und zum anderem auf den Prozess der Konstruktion und symbolischen Aufladung der Region Eichsfeld in unterschiedlichen gesellschaftlichen und politischen Systemen. Region fasst Behrens dabei nicht als statische Größe, sondern als im Bewusstsein der Bewohner verankertes "historisches und gesellschaftliches Konstrukt". (29) Im Mittelpunkt steht das "Spannungsverhältnis zwischen regionalkulturellen Vereinen auf der einen und den kulturpolitischen Instanzen des Staates bzw. den Staatsparteien auf der anderen Seite". (31) Konkret untersucht Behrens die Aktivitäten verschiedener Vereine, die sich mit der Pflege und Erforschung von Heimatgeschichte, heimatlichem Brauchtum, Volkskunst und -literatur, aber auch mit der Werbung für die Region und der Förderung des Tourismus befassen. Dabei stützt sie sich auf veröffentlichte Quellen wie Vereinsperiodika, Heimatbücher und Ortschroniken ebenso wie auf archivalische Überlieferungen der Vereine, der Kommunen und der Kreise.

Für die Weimarer Republik konstatiert Behrens einen Aufschwung im regionalkulturellen Vereinswesen des Eichsfelds; es kam zu zahlreichen Neugründungen, die Mitgliederzahlen stiegen und die Veranstaltungen der Vereine stießen auf große Resonanz. Verankert waren sie hauptsächlich im bildungsbürgerlichen Milieu, zu ihren Mitgliedern zählten überwiegend Lehrer und Pfarrer. Die Heimatkunde wurde in dieser Zeit für das "Vaterland" vereinnahmt - Heimatliebe sollte als Grundlage der Vaterlandsliebe dienen. Ab Mitte der 1920er Jahre verband sich der Heimatbegriff zudem verstärkt mit den Kategorien "Raum" und Volkstum" und war von antimodernen und zivilisationskritischen Strömungen geprägt. Dabei spielte auch die Religion eine wichtige Rolle: Glaube und Heimatliebe sollten sich zum "Wohle und Wiederaufstieg Deutschlands" verbinden, Katholizismus und Volkstumsideologie, so Behrens, "gingen dabei eine enge Verbindung ein und wurden in den Dienst der Nation gestellt." (95)

In der NS-Zeit wurden die religiösen Inhalte der regionalkulturellen Arbeit zurückgedrängt. Die - auch durch das Reichskonkordat genährte - anfängliche Hoffnung auf eine "Verständigung zwischen katholischem Milieu und Nationalsozialisten" durch "Betonung der weltanschaulichen Übereinstimmungen" (110) zerschlug sich rasch. Inhaltlich wurde die regionale Heimatforschung zunehmend "mit völkischem, rassistischem, sozialdarwinistischem und in letzter Konsequenz auch antisemitischem Denken" aufgeladen (129). Organisatorisch kam es im Obereichsfeld zu einer engen Zusammenarbeit des Vereins für Eichsfeldische Heimatkunde mit dem NS-Lehrerbund, der diese Kooperation zunehmend dominierte. Aus diesem Grund und weil "der verstärkte Bezug auf eine rassistische 'Blut und Boden'-Ideologie zu einem Rückzug einzelner langjähriger, im katholischen Milieu verwurzelter Vereinsmitglieder" führte (132), kam die Arbeit des Vereins Ende der 1930er Jahre praktisch zum Erliegen.

Nach Kriegsende verlief die Entwicklung in den nun auf die beiden deutschen Staaten aufgeteilten Eichsfelder Teilregionen unterschiedlich. Im östlichen Obereichsfeld hatte die SED erhebliche Schwierigkeiten, sich im katholischen Milieu durchzusetzen. Regionalkulturelle Arbeit war hier nur unter dem Dach des Kulturbundes möglich. Versuche, die Heimatkulturarbeit im Sinne der SED politisch aufzuladen, stießen auf geringe Resonanz, ihre Instrumentalisierung für die gesamtdeutsche Arbeit blieb Episode. Erst mit der Umsetzung des "Eichsfeldplans", der gezielten Ansiedlung von Industriebetrieben, gelang es ab Ende der 1950er Jahre allmählich, das dominierende kirchlich-konservative Milieu der Region aufzubrechen. Im zum westdeutschen Bundesland Niedersachsen gehörenden Untereichsfeld wurde inhaltlich weitgehend nahtlos an die Heimatkulturarbeit der Vorkriegszeit angeknüpft. Dies schloss eine deutlich zivilisations- und - damit verbunden - amerikakritische Ausrichtung ein, die sich zum Teil auch völkischer Ideologeme bediente. Versuche, das Untereichsfeld ("Goldene Mark") als eigenständige Region zu etablieren und vom Obereichsfeld abzugrenzen, scheiterten. Vielmehr wurde die Zusammengehörigkeit beider Teile betont und die Region profilierte sich zunehmend als "Grenzland", als "freier Teil" des Eichsfelds und wurde somit zu einem Symbol der - zu überwindenden - deutschen Teilung.

Petra Behrens hat eine quellengesättigte und differenziert argumentierende Studie vorgelegt, die die Bedeutung regionaler Identität unterstreicht und die Möglichkeiten und Grenzen politischer Indienstnahme heimatkultureller Arbeit in verschiedenen Systemen anschaulich herausarbeitet. Da auf diesem Feld am Beispiel anderer Regionen bereits Pionierarbeit geleistet wurde, sind viele ihrer Ergebnisse nicht neu - in ihrer Schlussbetrachtung verweist die Autorin selbst wiederholt darauf, dass ihre Befunde bereits vorliegende Forschungsergebnisse bestätigen. Doch gelingt es ihr darüber hinaus, einige regionale Spezifika des Eichsfeldes herauszuarbeiten, insbesondere im Hinblick auf das dominierende katholische Milieu und die Zweiteilung des Gebietes. Hier und da hätte man sich indes mehr Mut zu zugespitzten Thesen gewünscht.

Die Untersuchung von vier unterschiedlichen politischen Systemen, das Eingehen auf abweichende Entwicklungen im Ober- und im Untereichsfeld und die Einbeziehung mehrerer Untersuchungsebenen (Kommune, Landkreis, Region, Nation) ermöglichen eine vielschichtige Studie mit differenzierten Ergebnissen. Andererseits führt ein solch komplexes Vorgehen auch dazu, dass der Leser im Dickicht der zahlreichen Vereine, der verschiedenen Teilregionen und lokalen Akteure bisweilen den Überblick verliert. Insofern verdeutlicht das Buch von Petra Behrens die Möglichkeiten und Chancen, aber auch die Probleme und Grenzen systemübergreifend vergleichender historischer Forschung.

Henrik Bispinck