Friedhelm Tromm: Die Erfurter Chronik des Johannes Wellendorf (um 1590) . Edition - Kommentar - Untersuchung (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Thüringen. Große Reihe; Bd. 16), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2013, LXII + 911 S., 1 s/w-Abb., 1 Kt., ISBN 978-3-412-20230-9, EUR 99,90
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Friedhelm Tromm legt mit diesem Buch seine bereits 2006 an der Freien Universität Berlin eingereichte germanistische Dissertation im Druck vor. Kernstück des Buches ist die Edition der namengebenden Quelle. Dies ist verdienstvoll und schließt eine Lücke in der außerarchivalisch zugänglichen Quellenlage zur Erfurter Geschichte.
Es handelt sich hierbei um eine späte Variante einer Erfurter Chronik, die in über 100 handschriftlichen Exemplaren bis heute überliefert ist, und die unter der Bezeichnung 'Erfurter Bürgerchronik' Eingang in die Forschung gefunden hat, wobei Tromm lieber von "Bürgerchroniken" (LVIII) im Plural sprechen möchte. Den Anlass zur ursprünglichen Niederschrift der Chronik bot höchstwahrscheinlich das 'tolle Jahr' 1509/10, worunter eine der in der Vormoderne überaus häufig nachweisbaren innerstädtischen Unruhen zu verstehen ist. Das Entstehungsumfeld ist ausweislich der 62 Seiten umfassenden Einleitung vermutlich im bürgerlich-handwerklichen Milieu der Opposition zum damaligen Rat zu finden. Die Chronik wurde in zahlreichen Haushalten Erfurts - und auch in anderen Städten - in Abschrift aufbewahrt, weitergeschrieben und variiert, sodass es keine 'Leitchronik' gebe, sondern alle Varianten "grundsätzlich als gleichwertig betrachtet werden" (LVIII) müssten. Gemein sei den Handschriften mit Ausnahme einer katholischen Variante, die in München aufbewahrt wird, die protestantische Stoßrichtung, antiadelige Einsprengsel und eine eindeutig bürgerliche Grundmentalität (XLVII-L).
Für die 549 Druckseiten umfassende Edition hat Tromm die von Magister Johannes Wellendorf geschriebene und erweiterte Variante ausgewählt, die im Jahr 1590 abbricht. Diese biete im Vergleich zu früheren Exemplaren den Vorteil, auch Nachrichten aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts zu liefern. Ein paar mehr biografische Informationen zu Wellendorf in der Einleitung wären schön, um den Entstehungszusammenhang gerade dieser Variante besser zu durchleuchten. Die Edition ist gründlich. Tromm unterlässt es, auf Schreib- oder Inhaltsvarianten einzugehen, was angesichts der Vielzahl der überlieferten Exemplare auch weder zeitlich zu leisten noch gut darzustellen oder für den Leser sinnvoll zu bewältigen wäre. Zur Edition gehören ebenso die Randbemerkungen Wellendorfs sowie diejenigen einer weiteren, nicht-identifizierten Hand des 17. Jahrhunderts, die in der Edition durch die Verwendung eines anderen Schrifttyps kenntlich gemacht wurden.
Der Zeilenkommentar ist überaus gut gestaltet, fleißig zusammengetragen, inhaltlich überzeugend und ermöglicht auch dem Leser, der weder mit Erfurt noch mit dem 16. Jahrhundert vertraut ist, eine gewinnbringende Lektüre. Diese Kommentierung stellt die eigentliche Leistung des Editors dar. Leider hängt der größte Kritikpunkt, der an der Edition zu üben ist, mit eben diesem prinzipiell gelungenen Zeilenkommentar zusammen, denn er befindet sich nicht auf den jeweiligen Seiten, sondern hintenangestellt in einem eigenen Teil des Buches. Diejenigen Leser, welche die Chronik durchgehen und sich selbige gründlich erarbeiten wollen, sind im Prinzip gezwungen, sich den 202 Seiten starken Zeilenkommentar in Kopie neben das Buch zu legen, um nicht andauernd mehrere hundert Seiten vor- und wieder zurückblättern zu müssen. Die Freude an der Lektüre wird hierdurch erheblich geschmälert.
Auf den Editions- und Kommentarteil folgt ein 42-seitiges Verzeichnis der Fundorte der über 100 erhaltenen handschriftlichen Exemplare der Erfurter Bürgerchroniken nebst einer jeweiligen kurzen und schematisierten Handschriftenbeschreibung.
Nach der Edition der Wellendorfer Variante der Erfurter Bürgerchronik liefert Friedhelm Tromm eine Auswahl an 'poetischen Beigaben' aus anderen stadtchronistischen Handschriften des 16. Jahrhunderts. Leider unterlässt er es, seine Auswahl zu begründen oder näher zu erläutern, sodass nicht ersichtlich wird, warum gerade diese Stücke Eingang in die Edition gefunden haben. Es bleibt der Eindruck der Willkürlichkeit haften.
Drei Register runden das Buch ab. Die üblichen beiden Register zu Personen und Orten werden sinnvoll um ein ausschließlich auf die Stadt Erfurt bezogenes Sachregister ergänzt. Alle drei Register beziehen sich ausschließlich auf den Editionsteil, während die Einleitung und das Sachregister unberücksichtigt bleiben. Dies verwundert angesichts der Bedeutung, die insbesondere dem Kommentarteil zukommt, ein wenig.
Als abschließende Beurteilung ist die Herausgabe der Chronik Wellendorfs als gelungene Fleißarbeit zu loben, woran auch die genannten Kritikpunkte nichts ändern. Sie erweitert unsere Kenntnisse nicht nur über Erfurt, sondern regt auch gleichzeitig zu weitergehenden Studien an. Insbesondere die vom Herausgeber genannten und gelieferten Aufbewahrungsorte der überaus zahlreichen Varianten laden dazu ein, im Rahmen einer tiefergehenden Analyse sich mit der Schreibpraxis frühneuzeitlicher Chronistik auseinanderzusetzen. Auch eine Gesamtbetrachtung der auf Erfurt bezogenen Ergänzungen in den unterschiedlichen Einzelexemplaren mag tiefergehende Erkenntnisse über Gruppenidentitätsbildungen, gemeinsam geteilte Erinnerungen und auch über Interessendivergenzen innerhalb der Bürgerschaft einer Stadt des 16. Jahrhunderts zutage fördern.
Dennis Hormuth