Hanns Jürgen Küsters (Hg.): Deutsche Europapolitik Christlicher Demokraten. Von Konrad Adenauer bis Angela Merkel (1945-2013) (= Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte; Bd. 66), Düsseldorf: Droste 2014, 430 S., ISBN 978-3-7700-1918-2, EUR 39,00
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Die CDU hat die deutsche Europapolitik in wesentlichen Teilen mitgeprägt, vor allem deswegen, weil sie bislang die dominierende Regierungspartei in der Bundesrepublik Deutschland war. Insofern ist es durchaus berechtigt, danach zu fragen, welche Rolle christdemokratische Politiker bei der Konstruktion "Europas" gespielt haben. Zugleich ist das vorliegende Buch aber auch als Forschungsbericht zu verstehen, der die wichtigsten Ergebnisse der inzwischen doch recht umfangreichen Arbeiten zur Europapolitik der Christdemokraten zusammenfasst.
Der Band greift drei Hauptthemen heraus. Erstens geht es um die Netzwerke christdemokratischer Politiker in den europäischen Gremien. Wolfram Kaiser betont hier die Bedeutung dieser inoffiziellen Netzwerke, in denen die Verhandlungen und Entscheidungen auf Regierungsebene vorbereitet und angebahnt wurden. Thomas Jansen erinnert an prominente Christdemokraten und ihre Leistungen vor allem im europäischen Parlament, Burkard Steppacher schildert gleiches für die europäische Kommission. Die beiden letztgenannten Aufsätze haben weniger historisch-wissenschaftlichen Anspruch als vielmehr Festschrift-Charakter. Ein zweiter Abschnitt untersucht die Europapolitik christdemokratischer Kanzler von Adenauer bis Merkel. Alle Beiträge wurden von sachkundigen Autoren auf der Höhe des Forschungsstandes geschrieben und sind daher in Kombination miteinander nützlich. Experten werden keine Überraschung finden, aber gerade die Zusammenschau bietet doch die Möglichkeit, langfristige Linien zu ziehen und zu vergleichen. Ein letztes Kapitel untersucht die innenpolitischen und vor allem innerparteilichen Kontroversen um die Europapolitik. Auch hier finden sich keine Erkenntnisse, die nicht schon zuvor publiziert worden waren. Der Mehrwert liegt in der konzisen Zusammenfassung. Etwas aus dem Rahmen fällt der Beitrag von Rudolf Hrbek über die Konflikte zwischen Bund und Ländern über die Europapolitik. Der Beitrag selbst ist höchst lesenswert, weil er ein Thema aufgreift, das von den Geschichtswissenschaften bislang gar nicht behandelt wurde. Doch passt er - entgegen der Beteuerung des Autors - nicht ganz in das Rahmenthema des Bandes.
In nahezu allen Beiträgen werden zwei wichtige Probleme der Integrationsforschung aufgegriffen. Zum einen betonen viele Autoren die hohe Bedeutung von Netzwerken für die christdemokratische Europapolitik. In diesem Kontext wäre es durchaus reizvoll gewesen, einmal genauer zu fragen, was denn eigentlich ein Netzwerk in diesem Sinne ist. Lässt sich nicht politisches Handeln grundsätzlich als Handeln in Netzwerken beschreiben? Was aber ist dann das spezifische an transnationalen europäischen Netzwerken? Unterscheiden diese sich von Netzwerken auf nationaler Ebene, und wenn ja, wie und warum? Diese Fragen sind in der Integrationsforschung in den letzten Jahren durchaus diskutiert worden, doch fehlt es bislang an einer systematischen Untersuchung. Der Sammelband kann als Anreiz verstanden werden, genauer nach der Struktur und der Dynamik von transnationalen Netzwerken und ihrer Bedeutung für die Integration zu fragen.
Ein zweiter Aspekt, der leider nicht weiter diskutiert wird, ist die Frage, ob es eine spezifisch christdemokratische Europapolitik gab. Inwieweit unterschied sich die christdemokratische Politik von jener der Sozialdemokraten, Liberalen oder jener der Grünen? Gab es das vor allem unter Sozialisten in den 1950er Jahren perhorreszierte "Europe Vaticane", mithin ein katholisches Europa? Welche Rolle spielten spezifisch konservative Überzeugungen? Manches spricht doch eher dafür, dass die Europapolitik der Nationalstaaten stärker durch nationale als durch parteipolitische Diskurse geprägt wurde. Insgesamt liegt ein Sammelband vor, der die wichtigsten Forschungsergebnisse zusammenfasst und zugleich Perspektiven für künftige Recherchen eröffnet.
Guido Thiemeyer