Ewald Grothe (Hg.): Carl Schmitt - Ernst Rudolf Huber. Briefwechsel 1926-1981. Mit ergänzenden Materialien, Berlin: Duncker & Humblot 2014, 617 S., ISBN 978-3-428-14170-8, EUR 79,90
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Carl Schmitt (1888-1985) und Ernst Rudolf Huber (1903-1990) zählen zu den bekanntesten, wohl aber auch umstrittensten deutschen Juristen des 20. Jahrhunderts. Dies gilt in besonderem Maße für den Staats- und Völkerrechtler Carl Schmitt. Die einen sehen in ihm einen brillanten wissenschaftlichen Autor mit starker Suggestivkraft, den anderen gilt er wegen seiner Gegnerschaft zur parlamentarischen Demokratie und Liberalismuskritik sowie wegen seines juristischen Einsatzes für den Nationalsozialismus als "Totengräber Weimars" (Karl Dietrich Bracher) und "Kronjurist des Drittes Reiches" (Waldemar Gurian).
Ernst Rudolf Huber, der mit Ernst Forsthoff und Werner Weber zu den bekanntesten Schülern von Carl Schmitt gehört, erlangte (fachwissenschaftliche) Berühmtheit insbesondere durch seine monumentale, achtbändige Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789 (1957-1991). Wie sein prominenter Lehrer und Doktorvater gilt auch er als einer der führenden Staats- und Verfassungsrechtler in der Zeit des Nationalsozialismus. Als Mitglied der sogenannten "Kieler Schule", der "Stoßtruppfakultät" an der Universität in Kiel, hatte er sich für eine Rechtserneuerung im Sinne der NS-Ideologie eingesetzt, in seiner Verfassung von 1937 hatte er eine Gesamtdarstellung des nationalsozialistischen Führerstaates vorgelegt und war an der Vorbereitung der Nürnberger Gesetze beteiligt - daher wurde auch er nach 1945 als ein Wissenschaftler wahrgenommen, dessen moralische Integrität als kompromittiert galt.
Schmitt und Huber begegneten sich 1924, als Huber als Student der Rechtswissenschaften nach Bonn kam, wo Schmitt damals als junger Ordinarius wirkte. Bereits Hubers erster Eindruck von Schmitt war überwältigend. Dass er schon bald Zugang "in den engeren Kreis eines Gelehrten von solchem Rang" (560) gefunden hatte, empfand er als einen entscheidenden Wendepunkt in seinem Leben.
Aus dieser Begegnung entwickelte sich eine lebenslange, freundschaftliche Gelehrtenbeziehung, die sich in einer umfangreichen Korrespondenz niederschlug. Dieser insgesamt 219 Schriftstücke (176 Briefe und 43 Karten) umfassende Briefwechsel liegt nun - dank der minutiösen editorischen Arbeit von Ewald Grothe - in größtmöglicher Vollständigkeit vor. Der Herausgeber, Leiter des Archivs des Liberalismus der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Gummersbach, hat sich schon seit seiner Studienzeit mit Schmitt und Huber beschäftigt und für die vorliegende Edition umfangreiches Material aus zahlreichen Archiven und Bibliotheken zusammengetragen.
Ein einleitendes Kapitel enthält nicht nur Hinweise zur Forschungssituation und Publikationstätigkeit sowie Anmerkungen zum Thema und zur Entwicklung der Korrespondenz, sondern auch eine biographische Skizze Hubers, der in der wissenschaftlichen Literatur eher vernachlässigt wird. Ebenso hilfreich erweist sich das chronologische Briefverzeichnis.
Die Wiedergabe der Korrespondenz erfolgt nach einem einheitlichen editorischen Muster und wird von ausführlichen Ergänzungen, akribisch recherchierten Hintergrundinformationen und Kommentaren begleitet.
Grothe teilt die Korrespondenz - entsprechend den Umbruchsjahren der historischen Entwicklung - in drei Abschnitte ein, wobei ihm der 30. Januar 1933 und der 8. Mai 1945 als Eckdaten dienen.
Die Korrespondenz der ersten Phase (1926-1933) umfasst 61 Schriftstücke und kreist hauptsächlich um Hubers Dissertation (Die Gewährleistung der kirchlichen Vermögensrechte durch die Weimarer Verfassung, 1926), Hubers Ausbildung in der oldenburgischen Verwaltung sowie seine Habilitation (bei Heinrich Göppert, Das Deutsche Reich als Wirtschaftsstaat, 1931). Zu dieser Zeit begann Hubers wissenschaftliche und publizistische Laufbahn, die von Schmitt tatkräftig gefördert wurde. 1928 an die Berliner Handelshochschule berufen, avancierte Schmitt in kurzer Zeit zum Berater der beiden letzten republikanischen Reichskanzler. Auf Schmitts Initiative hin wurde auch Huber Berater der letzten beiden Präsidialkabinette und der Reichswehrführung. Das Jahr 1932 markiert die Phase der intensivsten Zusammenarbeit, der größten fachlichen Nähe und politischen Übereinstimmung. In der kollektiven Erinnerung der beiden wird das Jahr 1932 der entscheidende Angelpunkt der Geschichte Deutschlands sowie ihrer persönlichen Beziehung bleiben, zugleich aber auch die Zeit der verpassten Chancen, als, wie sie bedauernd feststellen, "die Stunde der Entscheidung versäumt worden ist" (Brief Nr. 201).
Die Korrespondenz der Jahre 1933-1945, mit insgesamt 125 Schriftstücken, bildet wegen der politischen Brisanz und hohen Dichte der Briefe das Kernstück der Edition.
Zentrales Anliegen des Herausgebers ist es, anhand der Korrespondenz das Ausmaß der persönlichen Verstrickung der Protagonisten in die NS-Politik sowie ihrer Auseinandersetzung damit zu veranschaulichen. Obwohl beide Juristen vor der Machtergreifung keinerlei Sympathien für die Nationalsozialisten hegten und den 30.01.1933 als politisches Verhängnis und schwere persönliche Niederlage empfanden, traten beide bereits am 1.05.1933 in die NSDAP ein (ob aus Überzeugung, Opportunismus oder dem naiven Glauben, das System von innen im positiven Sinne beeinflussen zu können - wie Huber behauptete - bleibt selbst nach der Lektüre der Briefe offen) und erlebten eine glänzende akademische Karriere, indem sie maßgeblich zur Rechtfertigung und juristischen Untermauerung der NS-Politik beitrugen.
Schmitts Schüler Huber, der 1933 an die Kieler Universität berufen wurde, um an der Erneuerung der Rechtswissenschaft im Sinne des neuen Staates mitzuwirken, und bald mit der Herausgeberschaft der Zeitschrift für die gesamte Staatwissenschaft betraut wurde, folgte ihm in vielerlei Hinsicht. So bekannte er sich zu den von Carl Schmitt entwickelten Denkkategorien und Begriffen (z. B. "konkretes Ordnungs- und Gestaltungsdenken" sowie die Zusammenführung aller Zweige der Staatsgewalt in der Person eines Führers). Schmitts Einfluss ist unverkennbar. Im Wesentlichen folgten beide den zentralen Kategorien des NS-Rechtsdenkens, beide waren von der Richtigkeit ihres Handelns überzeugt und wollten sich aktiv am Aufbau des NS-Staates beteiligen. Bei aller grundsätzlichen Übereinstimmung zwischen Schmitt und seinem Schüler gab es doch eine Meinungsdifferenz, die in der Korrespondenz deutlich zum Ausdruck kommt und eine ernsthafte Krise in der Beziehung der beiden auslösen sollte: Huber teilte den aggressiven Antisemitismus seines Lehrers nicht. Daher entzog Huber sich der Teilnahme an der im Oktober 1936 von Schmitt geleiteten Tagung "Das Judentum in der Rechtswissenschaft". Wenn das Jahr 1932 einen Höhepunkt in der Beziehung der beiden darstellte, so stand das Jahr 1936 für einen Tiefpunkt, auf den eine Pause von eineinhalb Jahren in der Korrespondenz folgte. Selbst nach der Versöhnung 1938 konnte das Vertrauensverhältnis nicht mehr in vollem Umfang wiederhergestellt werden - auch wenn die Korrespondenz wieder regelmäßiger erfolgte und weiterhin persönliche Treffen stattfanden. Das Jahr 1936 markierte zugleich auch eine Wende in Carl Schmitts Karriere, der nun bei den NS-Machthabern in Ungnade fiel. Aller Ämter bis auf die Berliner Professur enthoben, widmete er sich fortan zunehmend geistesgeschichtlichen Studien und dem Völkerrecht.
Die Briefe in diesem Abschnitt der Korrespondenz thematisieren wissenschaftliche Debatten um Rechtsphilosophie, Staatsrecht und Verfassungsgeschichte ebenso wie hochschulpolitische Angelegenheiten, insbesondere Berufungs- und Personalfragen, und die Organisation von Tagungen.
Auch während des Krieges brach die Korrespondenz zwischen den beiden nicht ab. Eine längere kriegsbedingte Pause in der Korrespondenz trat erst 1944 ein, die nach drei Jahren von Huber beendet wurde.
Die Briefe der letzten Phase der Korrespondenz, 1947-1981, bilden zahlenmäßig die kleinste Gruppe - nur 33 Briefe - und dokumentieren die fortschreitende Entfremdung der beiden Protagonisten.
Seines Lehrstuhls enthoben, führte Schmitt ein weitgehend zurückgezogenes Leben in seiner Heimatstadt Plettenberg, die sich allmählich zu einem wichtigen Treffpunkt für führende Intellektuelle unterschiedlicher politischer Ausrichtung entwickelte.
Huber hatte ab März 1945 eine Zuflucht in Falkau im Hochschwarzwald gefunden. Da er wegen seiner NS-Vergangenheit ebenfalls als politisch belastet galt, erhielt er erst 1952 eine Honorarprofessur in Freiburg/Breisgau. 1957 wurde er an die Hochschule für Sozialwissenschaften in Wilhelmshaven-Rüstersiel berufen, und nachdem diese in die Universität Göttingen angegliedert wurde, war er von 1962-1968 in Göttingen tätig. Aus der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtler blieb er bis 1956 ausgeschlossen.
Huber meldete sich im Januar 1947 bei dem kürzlich aus der Haft entlassenen Schmitt. Dieser antwortete erst im Juli, nach einem zweiten Brief Hubers vom Mai. Er bekundete zwar seine Bereitschaft, die Korrespondenz wieder zu beleben, doch die alte Vertrautheit sollte sich nicht mehr einstellen - was auch aus den immer länger werdenden Abständen zwischen den Briefen, die z. T. mehrere Jahre betrugen, abzulesen ist.
Der Hauptgrund lag in ihrer unterschiedlichen Auseinandersetzung mit ihrer Rolle als führende NS-Juristen. Während Huber unter dem Eindruck der Nürnberger Prozesse zunehmend die Bereitschaft entwickelte, sich mit seiner Vergangenheit auseinanderzusetzen und sich aufrichtig bemühte, "das in Nürnberg zusammengetragene Tatsachenmaterial voll in sich aufzunehmen und so wenigstens nachträglich ganz zu realisieren, was das 'Dritte Reich' als Vernichtungssystem effektiv bedeutet hat" (Brief Nr. 193), zeigte Schmitt keinerlei Anzeichen von Schuldanerkenntnis. Auf Hubers Einladung, sich "über unsern Beitrag, unsere Irrtümer, unsere Fehlschläge" (Brief Nr. 187) miteinander auszutauschen, ging er nicht ein, vielmehr war er der Meinung, "dass unsere Denkart nicht fruchtlos war" (Brief Nr. 189). Während Huber immer mehr zur Erkenntnis der eigenen Verantwortlichkeit für die Taten des Regimes gelangte und die Notwendigkeit einer Neuorientierung erkannte, wozu auch die Revidierung seiner verfassungsgeschichtlichen Deutung gehörte, suchte Schmitt nach Kontinuitäten über "Ausbombungen, Regimewechsel[n], Rohrbrüchen" (Brief Nr. 189) hinweg. Er verfiel zunehmend in Selbststilisierung und kokettierte mit seinen Selbstinszenierungen als "outlaw" (Brief Nr. 202) im eigenen Land.
Somit konnte die grundsätzliche Wesensverschiedenheit zwischen Schmitt und Huber nicht mehr überbrückt werden. Nach 1945 fand kein persönliches Treffen mehr zwischen den beiden statt - obwohl beide ihrer Sehnsucht nach einem "schönen" (Brief Nr. 200) bzw. "unendlichen" Gespräch (Brief Nr. 188) Ausdruck verliehen. Huber konnte nur noch die "Grenzen des gegenseitigen Verstehens" beklagen und resigniert feststellen: "Offenbar ist es schwer, über die Abgründe der vergangenen Jahre hinweg das Ohr des anderen zu erreichen und zu einer gemeinsamen Sprache zurückzufinden." (Brief Nr. 193).
Dessen ungeachtet wurde die Korrespondenz noch bis 1981, vier Jahre vor Schmitts Lebensende, weitergeführt, auch wenn trotz der beträchtlichen Länge mancher Briefe kein wirklicher Gedankenaustausch mehr zustande kam, sondern vornehmlich Personalnachrichten oder Bericht von Lektüre mitgeteilt wurden. Ab den 1950er Jahren handelte es sich nur noch um Gelegenheitsschriften, Dank - und Glückwunschschreiben.
Grothe hat der Edition einen reichen Anhang beigefügt: 1) Dokumente zur Promotion und Veröffentlichung der Dissertation von Ernst Rudolf Huber (u. a. Lebenslauf von Huber, Dissertationsgutachten von Carl Schmitt, Verlagskorrespondenz); 2) Rezensionen von Ernst Rudolf Huber über Carl Schmitt, die 1929-1941 in diversen Zeitschriften erschienen sind; 3) Briefe Dritter; 4) Stellungnahmen Hubers; 5) Autobiographisches von Huber; 6) Gegenseitige Widmungen; 7) ein Verzeichnis fehlender Briefe und 8) eine Bibliographie der Veröffentlichungen Hubers seit 1973. Abgerundet wird die Publikation durch ein interessantes Bildmaterial.
Ewald Grothe ist eine herausragende editorische Leistung von großer wissenschaftlichen Relevanz gelungen. Die Korrespondenz bietet einen Einblick in die sich unter dem Wandel der Zeit und dem Eindruck tiefgreifender politischen Umbrüche verändernde persönliche Beziehung von zwei der prominentesten und wirkungsmächtigsten Juristen des 20. Jahrhunderts. Wie kaum ein anderes Dokument veranschaulicht sie das Ausmaß des NS-Engagements der Korrespondenzpartner sowie deren Reflexion der eigenen moralisch-politischen Haltung zur Zeit des NS-Regimes. Da die beiden weitgespannte intellektuelle Netzwerke unterhielten, stellt ihre Korrespondenz darüber hinaus auch eine zentrale Quelle zur Intellektuellengeschichte des 20. Jahrhunderts dar.
Monika Cziller