Rebekka Habermas / Alexandra Przyrembel (Hgg.): Von Käfern, Märkten und Menschen. Von Käfern, Märkten und Menschen, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2013, 320 S., ISBN 978-3-525-30019-0, EUR 54,99
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Rebekka Habermas, Professorin für Mittlere und Neuere Geschichte an der Georg-August-Universität Göttingen, und Alexandra Przyrembel, seit Oktober 2014 Leiterin des Projektbereiches 'Globale Wissenskulturen' und Senior Fellow am Kulturwissenschaftlichen Institut in Essen haben hier einen gut konzipierten Sammelband vorgelegt. Im Zentrum steht die Zirkulation von Wissen vor dem Hintergrund kolonialer Zusammenhänge im "langen" 19. Jahrhundert, wobei man in Anlehnung an Philipp Sarasin unter 'Wissen' - im Unterschied zu Religions- und Glaubenssystemen - solche Erkenntnisse verstehen möchte, die "tendenziell rational begründete, empirisch überprüfbare Hypothesen und Theorien" teilen und "im Wesentlichen von den Wissenschaften erschlossene empirische Wissensfelder und Gegenstandsbereiche" umfassen (10). Die eigentliche Zielrichtung des Bandes folgt einem Forschungstrend, der seit etwa zehn Jahren in zunehmendem Maße Aufmerksamkeit erfahren hat: In Abkehr des bis dahin oft üblichen Diffusionsmodels, bei dem europäische Konzepte und Vorstellungen nur in eine Richtung, nämlich in die kolonialisierten Länder hinein, wirksam waren, betont man unter Verwendung der Metapher des Netzes die Rückkopplungen dieses Prozesses, d.h. den Wissenstransfer von den Kolonien nach Europa. Diese rückläufigen, sehr unterschiedlich motovierten Verflechtungen möchten die beiden Herausgeberinnen nicht überall gleich stark gedeutet wissen, denn "mal waren sie fester, mal lockerer, mal existierten sie nur für eine kurze Dauer, mal wurden sie in feste Strukturen gegossen" (12). Hinzu kam, dass zahlreiche außereuropäische Orte und Regionen gar nicht vernetzt waren und somit keinen oder nur sehr indirekten Anteil am Wissenstransfer hatten. Viele Formen dieser "Unwissenheit" sind allerdings nicht zufällig entstanden, sondern bewusst erschaffen und aufrechterhalten worden. Hier verweisen Habermas / Przyrembel auf die Ansätze der Agnotologie (Proctor / Schiebinger), die ja gerade den Fragen nachgeht, warum in Gesellschaften bestimmtes Wissen unterdrückt, verloren oder ignoriert wird, während anderes Wissen Bedeutung erlangt. Die Nicht-Kenntnis bezieht sich allerdings auch auf zahlreiche indigene Quellen. Im Verlauf des vergangenen Dezenniums konnte sehr viel neues Material in die Analysen einbezogen werden, das die Forscher und Forscherinnen bis dahin schlichtweg ignoriert hatten.
Der Sammelband teilt sich in fünf große Themengebiete, wobei jeder Teil auf vorbildliche Weise von einem konzeptionellen Essay eingeleitet wird. Nachdem Rebekka Habermas noch einmal auf die wichtige Rolle eingegangen ist, die Intermediaries, Kaufleute, Missionare, Forscher und Diakonissen für den Transfer von Wissensbeständen spielten, werden in vier Aufsätzen beispielhaft der Missionar Alexander Merensky (von Ulrich van der Heyden), der Pater August Schynse (1857-1891) (von Richard Hölzl), der Kaufmann Salomon Volkart (von Christof Dejung) und der Kolonialbeamte Rudolph Asmis (von Bettina Brockmeyer) vorgestellt. Der nächste Abschnitt gibt Antworten auf die Fragen, in welchen Räumen die Globalisierung von Wissen um 1900 stattfand bzw. welche Räume erst durch den Wissenstransfer entstanden sind. An das interessante Einführungsreferat von Kerstin Rüther schließen sich drei Aufsätze an. Geht Tony Ballantyne auf das Thema "Indien und die Globalisierung kolonialen Wissens" ein, so widmet sich Patricke Harries einem Missionsarchiv zu Afrika in Lausanne und Stefanie Gänger dem Sammeln vorspanischer Antiquitäten in Peru in der Zeit von 1858 bis 1906. Spannend ist auch das dritte Themenfeld: "Disziplinen. Zum Wandel der Wissensordnungen im 19. Jahrhundert", das Iris Schröder sachkundig vorstellt und insgesamt drei Fallbeispiele umfasst. Es geht letztlich darum zu zeigen, wie sich im Laufe des 19. Jahrhunderts durch die Aufnahme außereuropäischer Kulturen der eigene Horizont so erweiterte, dass sich die universitäre Wissensordnung in Europa fundamental wandelte. Sabine Mangold präsentiert uns vor diesem Hintergrund die Karriere des Leipziger Türkisch-Lektoren Ahmed Muhiddin (1892-1923) und Charlotte Trümpler die Orientforscherin Gertrude Bell (1868-1926), wohingegen Holger Stoecker die Institutionalisierung der Afrikanistik in Deutschland skizziert.
Neben den Akteuren und Akteurinnen, den Räumen und der Wissensordnung sind, das ist sicher richtig, vor allem auch noch die Medien zu betrachten, die die Zirkulationsprozesse überhaupt erst ermöglichten und zur Verbreitung des Wissens sowohl in den kolonialisierten Gebieten wie auch in den Kolonialländern führten. Alexandra Przyrembel betont in ihrem Konzeptbeitrag insbesondere die Änderung der Lesegewohnheiten aufgrund des Aufkommens neuer Printmedien, die Beschleunigung der Informationsflüsse durch die Erfindung neuer Technologien und die manisch anmutende Sammel- und Dokumentationsleidenschaft der Europäer. Die drei Aufsätze thematisieren dann jeweils eine ihren jeweiligen Forschungsgebieten entnommene mediale Vermittlungsinstanz. Bei Barbara Buchenau ist es der "Song of Hiawatha" (1855), bei Kathrin Reiner Fotografien von argentinischen Indígenas aus der Zeit von 1879 bis 1910 und bei Andrew Zimmermann die Kolonialsammlungen des Königlichen Museums für Völkerkunde in Berlin. Der letzte Teil des hier zu besprechenden Buches dreht sich schließlich um die privaten und staatlichen Ressourcen, die die Basis für die europäische Explorationskultur im 19. Jahrhundert darstellten (Jakob Vogel: "Public-private partnership. Das koloniale Wissen und seine Ressourcen im langen 19. Jahrhundert. Einführung"). Ernst-Christian Steineck veranschaulicht dies an den Ausgrabungen von Babylon, die repräsentativ sind für die archäologische Wissenschaftsförderung im Deutschen Kaiserreich, und Maria Rhode an der Russischen Äthiopien-Expeditionen 1889-1896.
Wir haben es zusammenfassend mit einem Sammelband zu tun, der für dieses Genre ein bemerkenswert überzeugendes Konzept vorweisen kann. Die einleitenden Beiträge sind alle auf einem sehr hohen Niveau verfasst. Dies gilt grundsätzlich auch für die case studies. Allerdings wird man manchmal nach der Lektüre der Einzelfälle das Gefühl nicht los, dass den einzelnen Autoren und Autorinnen zu wenig Raum gegeben worden ist. So handelt es sich in der Regel um sehr kurze Texte - der Leser möchte aber manchmal doch mehr wissen. Darüber hinaus nehmen die Beiträge nur selten auf die übergeordneten Fragestellungen Bezug. Das ist natürlich häufig so, doch hätte man sich hier angesichts der Mühe, die sich die Herausgeberinnen gemacht haben, ein klein wenig mehr erhofft.
Stephan Conermann