Hubertus Büschel: Hitlers adliger Diplomat. Der Herzog von Coburg und das Dritte Reich, Frankfurt a.M.: S. Fischer 2016, 336 S., ISBN 978-3-10-002261-5, EUR 24,99
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Stellungnahme von Hubertus Büschel mit einer Replik von Karina Urbach
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[Zu diesem Beitrag liegt eine
Stellungnahme von Hubertus Büschel und
eine Replik von Karina Urbach
sowie eine
Stellungnahme von Harald Sandner vor.]
Schon in der Einleitung von Hitlers adliger Diplomat stellt Hubertus Büschel fest, dass ihn die Motive Carl Eduard Coburgs für Hitler einzutreten "nur am Rande" interessieren: "Stärker als die Beweggründe [...] sollen die Handlungen des Herzogs von Coburg im Mittelpunkt stehen." (28) Das ist eine ungewöhnliche Herangehensweise für einen Biografen. Den meisten Taten gehen in der Regel Motive voraus. Die wirklich spannenden Fragen werden daher in diesem Buch nicht gestellt: Wie stark war Carl Eduard von seiner hochadeligen peer group geprägt? [1] Welche Rolle spielte der Antisemitismus des Coburger Milieus bei seiner sukzessiven Radikalisierung? Und wie genau gestaltete sich seine, in den 1920er-Jahren, noch hochriskante Beziehung zu Hauptmann Ehrhardt? Welche Motive trieben ihn dann plötzlich von Ehrhardt weg zu Hitler?
Es ist durchaus verständlich, dass Büschel Carl Eduard von Anfang an als eine degoutante Figur ablehnt, aber auch Monster haben Motive. Büschels Carl Eduard bleibt jedoch eine seltsam fleischlose Figur, die im ganzen Untersuchungsraum keine Entwicklung durchzumachen scheint. Ein weiteres Problem der Biografie ist Büschels Umgang mit der Forschungsliteratur. Es existierten bereits Studien über Carl Eduard. Harald Sandner arbeitete 2010 erstmals das Leben des Nazi-Herzogs auf. [2] Er benutzte dabei unter anderem eine völlig neue Quelle - die lang verschollenen Taschenkalender Carl Eduards, die ihm von der Herzoglichen Hauptverwaltung des Hauses Coburg zur Verfügung gestellt wurden.
2015 kamen in einem Buch der Rezensentin weitere neue englische und russische Quellenfunde über den Herzog hinzu. [3] Literaturkenntnis schützt ja bekanntlich vor Neuentdeckungen und aus beiden Büchern übernimmt Büschel nun wichtige Forschungsergebnisse, leider nicht immer mit den korrekten Quellenbelegen. Bereits Sandner hatte Carl Eduards frühe Ausbildungsjahre, seine zahlreiche Treffen mit Hitler, seine erste und zweite Weltreise, sein Treffen mit Molotow und viele andere Episoden aus Coburgs privaten Leben detailliert rekonstruiert. Büschel "entdeckt" sie noch einmal neu.
Auch die Rezensentin findet vieles wieder. Hitlers Methode, Adelige als Geheimdiplomaten einzusetzen, wird von Büschel zusammen mit der gesamten Untersuchungsgruppe übernommen und in "Scheindiplomatie" umbenannt. (138f., 145f., 273 und 275). Die "Neuentdeckungen" haben gelegentlich auch eine amüsante Seite. In seinem Kapitel über "Die britische Aristokratie und die deutschen Konzentrationslager" (Büschel 196ff., Go-Betweens 187f.) kommt es zu einem Missverständnis: In Go-Betweens wurde das Interesse britischer Hochadeliger inklusive Queen Victorias Sohn, des Herzogs von Connaught (1850-1942), an Konzentrationslagern ausführlich dokumentiert. Büschel übernimmt dies, verwechselt jedoch Connaught mit seinem gleichnamigen Sohn, dem Prinzen Arthur Connaught (1883-1938), der 1932 zur Coburger Hochzeit reiste (Büschel 196ff.). Da Büschel aus den Go-Betweens alle Royal Archives Signaturen übernimmt, kommt es auch hier zu Übertragungsfehlern. An manchen Stellen werden Sachverhalte behauptet, die so nicht in den Quellen stehen (276, Fußnote 203) wobei die unterhaltsamste Stelle sicher ein Brief von 1939 ist, in dem Carl Eduard darüber sinniert wie schön es sei, von der Bewegung "gebraucht zu werden" (175 in Go-Betweens, 142 und Fußnote 172 Büschel). Büschel kommentiert diesen Brief mit den Worten: "Ganz konkret lockte eine Rolle bei den Olympischen Spielen in Berlin 1936." Im Jahr 1939 ist das eher unwahrscheinlich. Andere Fehler sind dagegen verzeihlich: Coburgs Anschluss an Bayern vollzog sich 1920 (nicht 1921, 74), das Coburger Ehrenzeichen wurde Carl Eduard bereits 1932 (nicht 1935, 41) verliehen und der Reichsarzt SS, Grawitz, nahm sich erst im April 1945 das Leben (232). Die FO Akte 1030-302 behandelt das Jahr 1946 nicht 1948.
Trotzdem hat das Buch auch Stärken. Büschels interessantestes Kapitel behandelt Carl Eduards Arbeit mit dem Deutschen Roten Kreuz. Auch die Schilderung der schwedischen Hochzeitswirren ist durchaus amüsant. In seiner Beschreibung von Edward VIII. befindet sich Büschel jedoch noch auf dem Stand der 1990er-Jahre (155). Er zitiert hier den mittlerweile überholten Philip Ziegler, der als offizieller Biograf der royal family die Nazi-Sympathien Edwards VIII verharmloste. [4] Auch das Argument, Edward VIII. habe unter anderem wegen seiner "pro-deutschen Haltung" (161) abdanken müssen, ist längst widerlegt. Premierminister Baldwin und der Erzbischof von Canterbury, Cosmo Lang, hatten völlig andere Gründe, ihn zu "entsorgen" [5], und Edwards Bruder und Nachfolger George VI. fuhr fort, die Beschwichtigungspolitik gegenüber Deutschland auch während der Sudetenkrise zu unterstützen.
Nach der Lektüre dieses irritierenden Buches ist es zu begrüßen, dass 2016 eine unabhängige Historikerkommission zur Erforschung der Geschichte Coburgs in der Zeit des Nationalsozialismus ihre Arbeit aufgenommen hat. [6]
Anmerkungen:
[1] Grundlegend hierzu die Arbeiten von Eckart Conze und Stephan Malinowski.
[2] Harald Sandner: Hitlers Herzog. Carl Eduard von Sachsen-Coburg und Gotha. Die Biographie, Aachen 2010.
[3] Karina Urbach: Go-Betweens for Hitler, Oxford 2015 (deutsche Übersetzung: Hitlers heimliche Helfer, Darmstadt 2016). Vgl. die Rezension in: sehepunkte 15 (2015), Nr. 12; URL: http://www.sehepunkte.de/2015/12/27398.html
[4] Philip Ziegler: King Edward VIII. A Biography, London 1991.
[5] Robert Beaken: Cosmo Lang: Archbishop in War and Crisis, London 2012.
[6] Der Coburger Stadtrat stellte 2016 hierfür 265.000 Euro zur Verfügung. Siehe auch: http://www.br.de/nachrichten/oberfranken/inhalt/coburg-ns-vergangenheit-wissenschaft-100.html (zuletzt aufgerufen am 09.08.2016).
Karina Urbach