Christian Windler (Hg.): Kongressorte der Frühen Neuzeit im europäischen Vergleich. Der Friede von Baden (1714), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2016, 303 S., ISBN 978-3-412-50293-5, EUR 19,90
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Um den Spanischen Erbfolgekrieg zu beenden, waren drei Friedenkongresse von Nöten: Utrecht, Rastatt und Baden. Der eigentliche Konflikt wurde in Utrecht beigelegt; in Rastatt und Baden traten der Kaiser und das Reich, die in Utrecht nicht unterzeichnet hatten, dem Frieden zu den dort ausgehandelten Bedingungen bei. Die Erforschung des Friedensschlusses hat sich daher vor allem der Utrechter Verhandlungen angenommen, während Rastatt und Baden wenig Aufmerksamkeit fanden. Die in dem vorliegenden Band versammelten Beiträge, die eine im September 1714 in Baden abgehaltene Tagung dokumentieren, sind ausdrücklich weniger den politischen Verhandlungen gewidmet, sondern versuchen vielmehr am Beispiel des Kongresses von Baden einen vergleichenden Blick aus "kultur- und sozialgeschichtlichen Perspektiven" (15) auf die Friedenskongresse des 17. Jahrhunderts zu werfen. Als leitende Fragestellungen wurden die Beziehungen zwischen Gesandten und Stadtbevölkerung, ihre spezifischen sozialen Praktiken und ihre Wahrnehmungen, die konfessionellen Herausforderungen für die Kongressorte sowie alltagsgeschichtliche Fragestellungen etwa hinsichtlich der Infrastruktur gewählt. Eher am Rande wurde die Frage nach den völkerrechtlichen Voraussetzungen und Konsequenzen der Auswahl einer Stadt als Kongressort berührt.
Letzteres erfolgt vor allem im einleitenden Beitrag von Lothar Schilling, der Auswahl und Status der Kongressstädte betrachtete und sich an einer Typenbildung versuchte. Entscheidend für eine Auswahl als Ort eines Friedenskongresses waren demnach eine konfessionelle Offenheit, eine gute Infrastruktur, gegebenenfalls die Anbindung an wichtige Verkehrswege und die Schaffung eines "neutralen" Status für die Dauer des Kongresses. Der Friedenskongress sollte nicht zu fern, aber auch nicht zu nah an der Front stattfinden. Die Häufung multilateraler Friedenskongresse in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts und die Blockierung der eigentlichen Verhandlungen durch die komplexen Rang- und Präzedenzstreitigkeiten - besonders in Nimwegen - führten zur Herausbildung von "Kongressreglements", einfache Regelungen, die ein Funktionieren des Kongresses überhaupt ermöglichten.
In drei Themenblöcken werden die einleitend von Christian Windler und dann von Schilling vertieften Fragen behandelt: Im ersten finden wir einen Vergleich des Kongressorts Baden (Bruno Meier, Andreas Würgeler) mit der Reichstagstadt Regensburg (Christoph Kampmann). Baden, dessen Auswahl als Ort des Friedenskongresses jenseits passender politischer und konfessioneller Überlegungen überraschen mochte, wies als Sitzungsstadt der schweizerischen Tagsatzung und als Kurort die für die Unterbringung von Gesandten notwendige Infrastruktur auf. Dies betraf sowohl formelle und informelle Räume, als auch ein "attraktives Angebot an Après-Séance- oder 'Freizeitaktivitäten'" (Würgeler, 76). Die Funktion als Tagsatzungsort ermöglicht den Vergleich mit Regensburg, der Stadt des Immerwährenden Reichstags. Als ständige Tagungsorte entwickelten sich beide Städte zu Knotenpunkte grenzüberschreitender Kommunikation und Information. Der Reichstag zu Regensburg aber war ein zu "politischer" Ort, um selbst Ort eines Friedenskongresses zu werden, so Kampmann. Dies hätte 1713 aus kaiserlicher Sicht zu einer ungewünschten Aufwertung der Reichsstände und der den Kaiser einschränkenden Strukturen der Reichsverfassung geführt (89).
Baden als Kongressort 1714 behandeln die Beiträge von Thomas Lau, Rolf Stücheli und Guido Braun. Lau untersucht die Rolle des Kongresses von Baden für die Ausformung einer gesamtschweizerischen "Doktrin" der Neutralität. Zu dieser führte auch nach 1714 keineswegs eine direkte Linie - gerade im Vorfeld des Friedenskongresses rangen die Schweizer Orte um eine gemeinsame Linie im Spanischen Erbfolgekrieg, in den manche Kantone nicht zuletzt durch die Anwerbungen von Söldnern für die kriegführenden Armeen verwickelt waren. Neutralität als Perspektive im innerschweizerischen Diskurs wirkte angesichts erheblicher konfessioneller Spannungen integrativ.
Während Stücheli basierend auf seiner umfassenden Monografie zum Friedenskongress einen Überblick über die Verhandlungen in Baden gibt, untersucht Braun Alteritätserfahrungen und mikropolitische Verhandlungen des päpstlichen Nuntius Passionei in Baden und zeigt, wie Passionei weitgehend ohne konfessionelle Berührungsängste in der Stadt agierte.
Im dritten Teil weitet sich der Blick auf andere Friedenskongressorte des 17. Jahrhunderts - Münster (Anuschka Tischer), Osnabrück (Gerd Steinwascher), Köln und Nimwegen (Tilman Haug) sowie Utrecht (Lucien Bély) - und abschließend auf religiöse Praktiken in Utrecht während der Friedensverhandlungen (Renger de Bruin, David Onnekink). Steinwascher bietet einen sozialgeschichtlichen Überblick über Osnabrück als Kongressort, während Tischer den Vorrang der politischen Entscheidungen vor konfessionellen Überlegungen bei der Auswahl der Kongressorte betont. Ähnliche Fragestellungen behandelt Haug, wobei am Beispiel Kölns und der Entführung Fürstenbergs auf Befehl des Kaisers gezeigt werden kann, wie wichtig die Sicherheit und der Respekt der Immunität der Gesandten für einen Friedenskongress war. Konnte diese nicht von den lokalen Autoritäten garantiert werden, scheiterte dieser - wie das Beispiel Köln 1674 zeigt. Bély skizziert die vielfältigen Interaktionsformen zwischen Gesandten und Stadt, die vom feierlichen Einzug der Gesandten bis zum Besuch der Prostituierten reicht.
Hillard von Thiessens Schlussbetrachtungen greifen die Einzelbefunde der Beiträge noch einmal auf und ordnen sie unter drei Aspekten ein: Kongressdiplomatie, der Kongress als spezifischer Raum und Perspektiven weiterer Forschung. Thiessens Perspektive auf die Problematik der Kongressorte ist eine konsequent kulturgeschichtliche, auf mögliche konkrete politische und strukturelle Konsequenzen der zahlreichen Friedenskongresse auf die Strukturen und Interaktionsformen des entstehenden europäischen Staatensystems geht er nicht weiter ein. Er betont den spezifischen "Ort", den die Kongressstadt der Politik bzw. den Diplomaten bot. Dort mussten sie täglich den Spagat üben zwischen oftmals informeller Verhandlung und den Zwängen des Zeremoniells, in denen man der Öffentlichkeit den eigenen Rang oder einen spezifischen Ranganspruch zu demonstrieren hatte. Thiessen weist noch einmal auf die Parallelität von formeller und informeller Kommunikation auf den Friedenkongressen des 17. Jahrhunderts hin. Gerade auf Friedenskongressen zeige sich, dass symbolische Kommunikation ein bedeutender Faktor im Staatsbildungsprozess sei (257). Dabei ist jedoch anzumerken, dass gerade die Friedenskongresse von Rijswijk, Utrecht, Rastatt und Baden zeigen, wie neue, pragmatische Wege der Kommunikation gesucht werden, um zeitraubende zeremonielle Konflikte zu reduzieren. Hier liegt, wie Thiessen zu Recht betont, noch ein großes Feld offener Fragen einer Alltags- und Sozialgeschichte der frühneuzeitlichen Diplomatie.
Hinsichtlich der Sozial-, Alltags- und Kulturgeschichte der Friedenskongresse, die kein Alltag für frühneuzeitliche Diplomaten waren, bietet der Band insgesamt ein reiches Anschauungsmaterial und birgt zahlreiche Anregungen für weitere Studien.
Sven Externbrink