Christian Heinemeyer: Zwischen Reich und Region im Spätmittelalter. Governance und politische Netzwerke um Kaiser Friedrich III. und Kurfürst Albrecht Achilles von Brandenburg (= Historische Forschungen; Bd. 108), Berlin: Duncker & Humblot 2016, 746 S., ISBN 978-3-4281-4519-5, EUR 109,90
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Spricht man in der neueren Mediävistik von "Netzwerk", so versteht man darunter einen Modebegriff, der in den Quellen keine Entsprechung findet. Mit ihm wird versucht, die Personengebundenheit mittelalterlicher Herrschaft zu umreißen. Fürsten schließen Allianzen, knüpfen familiäre Bande und unterhalten über ihre Räte Beziehungen zu anderen Reichsständen. Da die Strukturen politischen Handelns viel verwickelter als im späteren Anstaltsstaat zu sein scheinen, stößt die Forschung dort an ihre Grenzen, wo es an modernen Fürstenbiographien mangelt. Genau dies ist sowohl bei Kaiser Friedrich III. (1415-93) als auch bei Kurfürst Albrecht Achilles von Brandenburg (1414-86) der Fall. Christian Heinemeyers preisgekrönte Dissertation über "Governance und politische Netzwerke" beider Fürsten versucht nicht, diese Lücke zu schließen, sondern exemplarisch vorzugehen, was mit der großen Masse an Quellen gerechtfertigt wird. Der Autor bietet folglich keine umfassende Analyse der Beziehungen zwischen dem Reichsoberhaupt und seinem wichtigsten Verbündeten, sondern bearbeitet das Thema postmodern-eklektisch, indem er sich auf die Zeitspanne zwischen 1470 und 1475 beschränkt. Irreführend wirkt deshalb der Titel, der die Untersuchung eines viel längeren Zeitraums suggeriert. Mag ein solcher Einwand vom individuellen Geschmack abhängen, drängt sich doch die Überlegung auf, ob der Verfasser die Verhältnisse so beschreibt, dass sie seiner Fragestellung zweckdienlich sind. Macht das Verzeichnis der gedruckten und ungedruckten Quellen einen schmalen Eindruck, mutet es befremdlich an, wenn keine ehemals habsburgischen Archive aufgesucht wurden (!), gleichzeitig aber eine günstige Quellenlage attestiert wird.
In einem umfangreichen Kapitel werden frühere und neuere Forschung anschaulich gegenübergestellt, wobei die Bedeutung des in den 70er Jahren überfällig gewordenen cultural turn hervorgehoben wird. Hat der damalige Diskurs Aspekte wie Dynastie, Raum, Räte und personale Netzwerke in den Vordergrund gerückt, wird ersichtlich, dass sich ältere Vorstellungen zu sehr am frühmodernen Staat orientierten, oder trotz wichtiger Impulse ideologisch konnotiert waren (Otto Brunner). Lesenswert ist der "eigene Ansatz" (52), an den sich die Fragestellung "nach politischem Handeln, nach Formen des Regierens, den Strukturen, in denen sich politisches Handeln vollzog, und nach den Akteuren" (68) anschließt. Dabei geht es darum, die Ebene des Reiches, der "Außenpolitik" und der Regionen sowie ihre Verflechtungen zu untersuchen. Es folgt der quellennahe Teil der Arbeit. Hier wird klar, dass weniger Friedrich III. als Albrecht Achilles im Fokus der Betrachtung liegt.
Als Ergebnis lässt sich festhalten, dass das Reich als multipolarer Raum begriffen wird, in dem sich externe, interne, kaiserliche, regionale, überregionale und außenpolitische Interaktion überschnitten. Dies wird anhand regionaler Fallstudien untermauert (z. B. der Fehden des fränkischen Ritters Wilhelm Zaunrüde). Anders als Moraw, der ein Modell der Königsferne und/bzw. Herrschernähe verficht, präsentiert der Autor eines, das dem situativ-pragmatischen Charakter der damaligen Politik gerecht wird. Treffend umschreiben Begriffe wie "Machtgefüge" die Verhältnisse. Nicht nur damit, sondern auch mit seinen Bemerkungen zum Fehdewesen und zu Herrschertreffen bestätigt er neuere Beobachtungen, die von der Vernetzung und Multipolarität fürstlichen Handelns ausgehen. Dabei werden interessante Einzelerkenntnisse gewonnen, etwa anhand der Familie Eyb. Betont wird, dass lokale Akteure die Fähigkeit des Kaisers schätzten, gerichtliche Entscheidungen oder Herrschaftsrechte zu legitimieren und Schiedsrichter oder Kommissare zu ernennen. Der Dualismus zwischen Reich und Kaiser wird dabei als anachronistisch, die Kurfürsten als eine nicht geschlossene Gruppe angesehen, die Bedeutung der Ehre, der Räte, der adeligen Frauen, der Geschenke, der öffentlichen Rituale und der symbolischen Handlungen erkannt. Blickt man auf die 'untere' Ebene, stützte sich die Herrschaft des Markgrafen auf Beamte, regionale Loyalitäten und Identitäten, auf eine kontingente und praxisorientierte Verwaltung. Zu Recht wird die einseitige Ausrichtung der Forschung auf fürstliche Residenzen kritisiert. Heinemeyer übersieht aber, dass nicht die Höfe der eigentliche Ausgangspunkt für die Entwicklung territorialer Staatlichkeit waren, sondern die Versammlungen der Stände bzw. Landschaften. Weiteren Analysen bleibt es vorbehalten, das Wissen um die albertinischen Räte prosopographisch zu vervollständigen. Anzumerken ist, dass nur bis 2013 erschienene Literatur berücksichtigt wird - und diese nicht vollständig. Bietet der Autor ein Florilegium an Einsichten (599ff.), die ein realistisches Bild liefern, ist zu monieren, dass diese - aufs Ganze betrachtet - eigentlich nur partiell 'neu' sind.
Der Wert der Arbeit liegt in der Zusammenstellung. Sie verdeutlicht, wie vom Trend geprägte Diskurse, so fruchtbar sie sein mögen, oft zeitgebunden sind. Trotz der Richtigkeit vieler Feststellungen sollte man daher doch auf eine allzu hochgestochene Terminologie verzichten: Was mit "Global Governance" oder "globale normative Ordnung" umschrieben wird, ließe sich vielleicht besser als Handeln innerhalb einer "traditionalen Ordnung" (Max Weber) bezeichnen, die des allmächtigen Leviathans nicht bedurfte. Der Vorteil läge darin, dass fürstliches Agieren nicht nur als 'Netzwerkhandeln' verstanden würde, sondern auch im Bezugsrahmen zum Weltbild, zur weltlichen und religiösen Legitimation, zum Recht und zur ständisch-öffentlicher Ordnung gesehen würde, die für die Ausübung fürstlicher Macht genauso wichtig waren. Dass Heinemeyer trotz überzeugender Hinzuziehung kulturgeschichtlicher Methoden mehr eine modifizierte 'Verfassungsgeschichte' schreibt, kann man ihm gewiss nicht als Tadel anlasten. Jedes Sujet erfordert seine Begrenzung. Problematisch ist nicht der Inhalt, sondern die Methode: Er zeigt sich als Vertreter eines in Teilen der Forschung populären Modelldenkens, was wünschenswert ist, jedoch großen Feingefühls bedarf, weil derartige Ansätze stets die Gefahr in sich bergen, dass die Beschäftigung mit der Geschichte eher dazu dient, das konstruierte Modell zu bestätigen und nicht dazu, das Modell zu verwenden, um sich an die damalige historische Realität anzunähern. Ließe sich daraus der wohl deutlich überzogene Vorwurf erheben, die Governance-Schule würde modernen Politikstil ins Mittelalter zurückprojizieren - so wie ältere Geschichtsforscher den Nationalstaat als Maßstab für ihre Epoche betrachteten - muss sie sich dennoch die Frage stellen, ob sie Kriterien modernen Politik- und Wirtschaftshandelns nicht leichtfertig dazu verwendet, um weit zurückliegende Zustände zu beschreiben. Die Erkenntnis der Zeitgebundenheit jedes historischen Urteils (der Rezensent nimmt sich dabei durchaus nicht aus) ist eine Errungenschaft, die sich vornehmlich aus der Auseinandersetzung mit der älteren Mediävistik ergeben hat. Sie sollte gerade im Zusammenhang mit innovativen Forschungsansätzen im Hinterkopf behalten werden. Der Hinweis auf den allgegenwärtigen "bösen Feind" des Historikers (i.e. den Zeitgeist) ist freilich nicht als spezielle Kritik an der vorliegenden Arbeit zu verstehen, sondern mehr als allgemeiner Einwand.
Konstantin Moritz Langmaier