Alexander Patschovsky (Hg.): Joachim von Fiore. Concordia Novi ac Veteris Testamenti (= Monumenta Germaniae Historica. Quellen zur Geistesgeschichte des Mittelalters; Bd. 28), Wiesbaden: Harrassowitz 2017, 4 Bde., CDXXXVII + 1531 S., 36 Farbabb., ISBN 978-3-447-10679-5, EUR 348,00
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Alexander Patschovsky hat sich mit seiner Edition der "Concordia Novi ac Veteris Testamenti" des Joachim von Fiore (gest. 1202) eine anspruchsvolle Aufgabe gestellt. Sie soll nach seinen eigenen Worten nicht weniger als ein Stück Weltliteratur neu erschließen und würdigen helfen. Tatsächlich war der Blick auf den kalabresischen Abt und seine Schriften für viele Jahrhunderte verzerrt durch eine heterogene Überlieferung und eine überaus verworrene Rezeption. Vielfältige Imaginationen überdeckten die historische Persönlichkeit, die je nach Befindlichkeiten den Seher, den Reformer, den Utopisten, den Mystiker, den genialen Historiker, den religiösen Schwärmer oder den Häretiker zu erkennen glaubten. Eher selten beruhten diese Projektionen auf der vertieften Auseinandersetzung mit den Schriftzeugnissen aus Joachims Autorschaft. Neben Verkürzungen und Neukontextualisierungen veränderten bekanntermaßen falsche Zuschreibungen die Grundlagen der Aneignung von Joachims Werk, sodass vielfach mit den Worten eines Pseudo-Joachim das Kommen des Antichrist oder der Anbruch eines neuen Zeitalters diskutiert wurde.
Die Neuedition der "Concordia" reiht sich in ein internationales Großprojekt zu einer kritischen Gesamtausgabe von Joachims Werken ein, an dem sich neben den Monumenta Germaniae Historica die Accademia Nazionale dei Lincei in Rom und die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften beteiligen. Alexander Patschovsky, seit vielen Jahrzehnten ausgewiesener Kenner religiöser Devianz im Mittelalter, möchte dabei seinem Beitrag gerne eine gewisse Vorrangstellung einräumen, wenn er die "Concordia" als das Hauptwerk Joachims bezeichnet. Angesichts der ausgreifenden weltgeschichtlichen Konzeption des Abtes aus Kalabrien, die sich auf mehrere Schriften erstreckt, sei eine solche Einordnung dahingestellt. Allerdings bildete die "Concordia" mit ihren fünf Büchern den umfangreichen Auftakt für die Entschlüsselung von Gottes Heilsplan in der Geschichte auf der Basis von Korrespondenzen zwischen den Ereignissen von Altem und Neuem Testament. Ihre nun vorliegende neue Textgrundlage mit umfangreichen Apparat nimmt beinahe 2000 Seiten in vier Bänden ein. Für die Dokumentation der Editionsentscheidungen erweist sich die vom Herausgeber vorausgeschickte "Klassifikation der Handschriften" von ebenfalls über 400 Seiten Umfang als unerlässlich. [1] Der Monumentalität dieser Editionsleistung, der sich Alexander Patschovsky intensiv seit 2007 widmete, gebührt Respekt, zumal der Herausgeber sie ganz ohne Mitarbeiterstab bewältigte.
Wichtige Hilfe leisteten ihm jedoch die kritische Teiledition der "Concordia" von Emmett Randolph Daniel von 1983 [2] und die Texttranskriptionen aus dem Nachlass seines Doktorvaters Herbert Grundmann, dessen unvollendet gebliebene "Concordia"-Edition nun doch einen Abschluss gefunden hat.
Der erste Band der Edition enthält die Einleitung, in der Autorschaft und Titel erläutert sowie die "Concordia" in Joachims Biografie eingeordnet werden, einige grundsätzliche Bemerkungen zur Verwendung von Quellen durch Joachim fallen und wichtige Stationen der frühen Rezeption angerissen werden. Die ebenfalls einleitende "ratio editionis" erläutert nicht nur die editorischen Grundsatzentscheidungen für die Textkonstitution, sondern auch die Auswahl für die Präsentation der Diagramme, mit deren Hilfe Joachim seine Ausführungen optisch zu unterstützen gedachte. Die vorgesehenen Bildelemente sind allerdings nur teilweise und in sehr heterogener Form erhalten, weshalb die ausführlichen Anmerkungen der Einleitung vorzüglich in die Problematik einführen. Der ebenfalls im Einleitungsband enthaltene Abbildungsteil präsentiert dazu fotografische Wiedergaben aus den Handschriften in guter Qualität. Mit beinahe 300 Seiten Umfang beansprucht die ausführliche Paraphrase der "Concordia" den mit Abstand größten Raum im Einleitungsband. Es handelt sich jedoch nicht um eine bloße Inhaltsübersicht, sondern zugleich um eine Einführung in die Komposition des Werkes und damit um eine nützliche Hilfestellung zum Verständnis von Aufbau und Idee von Joachims Schrift. Abgeschlossen wird der Einleitungsband noch durch ein Abkürzungs-, Quellen-, und Literaturverzeichnis sowie einer Konkordanz der Werkeinteilung aus dem venezianischen Erstdruck der "Concordia" von 1519, der Edition durch Daniel und der vorliegenden Bearbeitung.
Der zweite und der dritte, jeweils rund 500 Seiten starke, Band der Edition enthalten den lateinischen Text der "Concordia" samt Varianten- und Sachapparat. Das in der von Daniel besorgten Ausgabe fehlende 5. Buch nimmt dabei allein Band 3 ein und verdoppelt damit den Textumfang. Gegenüber dem umfangreichen Sachapparat, der vor allem auf zitierte Bibelstellen, historiografische Quellen und inhaltliche Parallelen in anderen Schriften hinweist, fällt der Variantenapparat trotz der reichen handschriftlichen Überlieferung überraschend schlank aus. Alexander Patschovsky beschränkt sich hier auf Lesarten der drei postulierten Hyparchetypen der Texttradition, die an manchen Stellen auch im Spaltendruck im Textblock und nicht im Fußnotenapparat verzeichnet werden.
Welchen Text nun bietet die Neuausgabe als die "Concordia" des Joachim von Fiore an? Die breite Varianz der handschriftlichen Überlieferung scheint bereits auf unterschiedliche Redaktionen durch Joachim selbst zurückzugehen. Alexander Patschovsky konstatiert daher einen "Text in Bewegung", der keine abschließende Fassung erhalten habe. Autografe sind nicht erhalten. Aus sechs Leithandschriften, die auf drei Klassen der Überlieferung, den genannten Hyparchetypen, zurückgehen sollen, will der Herausgeber dennoch den "erkennbaren Willen des Autors" rekonstruieren können: "Die Konstitution des Textes war ohne nennenswerte Schwierigkeiten nach den Regeln der Lachmann'schen Methode möglich". [3] Eine solche Festlegung auf einen vermeintlichen Urtext verwundert dann doch etwas. Als entscheidend erweist sich hier die letztlich bereits auf Daniel zurückgehende Identifizierung der Hyparchetypen, zu deren Erläuterung der Rückgriff auf die 2013 publizierte "Klassifikation der Handschriften" nötig ist. Mit der "Klassifikation" bemüht sich Alexander Patschovsky um einen möglichst transparenten Einblick in seine Editionswerkstatt. Dazu sollen nicht nur Vergleichstabellen, Stemmata, Handschriftenbeschreibungen und ausführliche Erklärungen seiner Entscheidungen beim Abgleich von Überlieferungen beitragen, sondern auch die Dokumentation von Stichprobenkollationen. Diese grundsätzlich dankenswerte Transparenz verdeutlicht aber auch Fehler mit Folgen für die überlieferungsgeschichtliche Einordnung [4] und insbesondere den stark konstruierten Charakter des Textes nach den Vorstellungen des Herausgebers. Ohne eigene Autopsie der Handschriften lässt sich deren Plausibilität nicht überprüfen und die Entscheidung, einen Text in Bewegung in eine solche feste Form zu gießen, kann letztlich nicht vollauf überzeugend begründet werden.
Der vierte Band der Edition ist vollständig den Registern vorbehalten. Im Einzelnen enthält er ein Register der Bibelstellen, ein Autoren- und Werkregister, ein Namen- und Sachregister, ein Wortregister und ein Zahlenregister. Die Register ermöglichen ein differenziertes Suchen. Unter dem Eintrag bestia des Wortregisters lässt sich beispielsweise klar unterscheiden, ob von der aus dem Meer aufsteigenden oder zu Land aufsteigenden Bestie oder von der Bestie und Pseudopropheten die Rede ist. Das Zahlenregister erweist sich als besonders nützliches Hilfsmittel für den Zugang zu Joachims Vorliebe für numerische Strukturen. Seine Nutzung wäre durch eine optisch übersichtlichere Gliederung einfacher, dennoch führt es zuverlässig sowohl zu den sieben Zeitaltern und den sieben Gaben des Heiligen Geistes, als auch zu den sieben typologischen Interpretationsmöglichkeiten der historischen Ereignisse.
Gerade die zahlreichen Hilfestellungen ermöglichen intensives Arbeiten mit der "Concordia" und bieten in ihrer Ausführlichkeit zudem das große Plus gegenüber der Edition durch Daniel. Leider erschwert die verlegerische Präsentation der Neuedition eine praktische Handhabe enorm. Einschließlich "Klassifikation der Handschriften" benötigt der Nutzer fünf Bücher gleichzeitig, Format und Bindung erlauben aber nicht einmal, die Bände aufgeschlagen nebeneinander zu legen. Bei aller Sympathie für das gedruckte Buch wären im Zeitalter elektronischer Datenaufbereitung andere oder ergänzende Möglichkeiten sicherlich sinnvoll gewesen. Fragezeichen um die Textkonstitution bleiben, dennoch hat Alexander Patschovsky der fachwissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der "Concordia" Joachims von Fiore neue, begrüßenswerte Möglichkeiten eröffnet. Die Würdigung eines verschütteten Stücks der Weltliteratur bedarf aber weiterer Erschließungen, allen voran einer Übersetzung.
Anmerkungen:
[1] Alexander Patschovsky: Die Concordia Novi ac Veteris Testamenti Joachims von Fiore († 1202) - Klassifikation der Handschriften (= Monumenta Germaniae Historica, Hilfsmittel; 28), Hannover 2013.
[2] Emmett Randolph Daniel (Hg.): Abbot Joachim of Fiore: Liber de Concordia Novi ac Veteris Testamenti (= Transactions of the American Philosophical Society; 73/8), Philadelphia 1983.
[3] Patschovsky: Concordia Bd. 1, CCCXXVI.
[4] Im Abgleich mit einer Handschrift zeigte Julia Eva Wannenmacher Kollationsfehler auf, die auch Folgen auf die Einordung zeigten; vgl. Julia Eva Wannenmacher: Edieren zwischen Gestern und Morgen: Vor einer Neuedition der Concordia Novi ac Veteris Testamenti Joachims von Fiore, in: Historische Zeitschrift 303 (2016), 472-485.
Matthias Heiduk