Rezension über:

J. Michael Jefferson : The Templar Estates in Lincolnshire, 1185-1565. Agriculture and Economy, Woodbridge / Rochester, NY: Boydell & Brewer 2020, XII + 349 S., 5 s/w-Abb., 25 Kt., ISBN 978-1-78327-557-1 , GBP 70,00
Buch im KVK suchen

Rezension von:
Matthias Heiduk
Friedrich-Alexander-Universität, Erlangen-Nürnberg
Redaktionelle Betreuung:
Ralf Lützelschwab
Empfohlene Zitierweise:
Matthias Heiduk: Rezension von: J. Michael Jefferson : The Templar Estates in Lincolnshire, 1185-1565. Agriculture and Economy, Woodbridge / Rochester, NY: Boydell & Brewer 2020, in: sehepunkte 21 (2021), Nr. 5 [15.05.2021], URL: https://www.sehepunkte.de
/2021/05/35135.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

J. Michael Jefferson : The Templar Estates in Lincolnshire, 1185-1565

Textgröße: A A A

Mit diesem Titel setzt sich der Autor eine Geschichte der Besitzungen des Templerordens im englischen Lincolnshire zum Ziel. Dabei will er umfassend Landwirtschaft und Leben auf den Ordensgütern analysieren und auch die Zeit nach dem Transfer an den Johanniterorden berücksichtigen. Der Untersuchungszeitraum wird durch die zentralen Überlieferungen bestimmt, auf die sich Michael Jefferson stützt, beginnend mit einer Aufstellung der Templerbesitzungen in England von 1185 über die königlichen Inventare anlässlich der Konfiskation der Güter 1308, einem Bericht an den Großmeister der Johanniter von 1338 über den Stand des Transfers, bis schließlich zum Verzeichnis der englischen Johanniterbesitzungen durch die Kommission König Heinrichs VIII. von 1535. Der im Titel angezeigte Schlusspunkt von 1565 bezieht sich auf die letzte Erwähnung eines aktiven Johanniters aus der englischen Ordensprovinz während der Belagerung von Malta.

Nach einer Einleitung, die neben einem Forschungsüberblick knappe Zusammenfassungen zur Geschichte der Templer und Johanniter bietet, verfolgt Jefferson seine Untersuchung in neun Kapiteln. Jede der vier zentralen Quellen steht im Mittelpunkt eines Kapitels mit Ausnahme des umfangreichen Inventars von 1308, das den Ausgangspunkt für gleich vier Abschnitte bildet. Sie sind dem Ackerbau, der Viehwirtschaft, gesondert der Schafzucht und den auf den Gütern lebenden und sie bewirtschaftenden Personen gewidmet.

Die immerhin 80 Seiten umfassenden Anhänge an die genannten Kapitel verdeutlichen den Schwerpunkt der Quellenarbeit der Studie. Aus den verschiedenen königlichen Verwaltungsquellen (Close Rolls, Charter Rolls etc.) und den handschriftlichen Registraturen v.a. des Exchequer, die die Überlieferung zu den genannten Inventaren enthalten, extrahierte Michael Jefferson sämtliche Angaben zu den Ordensbesitzungen im Lincolnshire und führt in langen Listen jeden inventarisierten Messingtopf und jeden Pachtbetrag auf. In 25 Karten hält der Autor zudem jede Veränderung zwischen den Aufstellungen von 1185, 1308, 1338 und 1535 im Umfang der Wiesen und Ackerflächen, in der Anzahl von Kirchen und Mühlen sowie der Einkünfte der einzelnen Niederlassungen fest. Der Listencharakter durchzieht konsequent auch die gesamte Darstellung. Das beginnt in der Einleitung, in der minutiös jeder Titel zur Geschichte der Ritterorden auf den britischen Inseln aufgeführt wird, und setzt sich fort in der Aufzählung von Anbauphasen, Fruchtfolgen, Erlösen aus dem Wollverkauf, der Höhe von Arbeitslöhnen und der Anzahl der 1308 inhaftierten Templer (und wie viele davon dreißig Jahre später noch lebten). An Quantifizierungen mangelt es dieser Studie jedenfalls nicht.

Michael Jefferson beschränkt sich aber nicht auf Aufzählungen und so entsteht für den Lincolnshire ein durchaus plastisches Bild von Gebäuden und Werkstätten, unterschiedlichen Bewirtschaftungen sowie der Zusammensetzung der Bewohner einzelner Ordensniederlassungen. So waren in den Präzeptoreien der Templer, anders als bei anderen geistlichen Institutionen, überwiegend Ordensbrüder und Pensionäre anzutreffen, während die große Zahl von Arbeitskräften, seien es freie oder unfreie Pächter, Saisonarbeiter oder Handwerker, in separierten Siedlungen lebten.

Der Fokus auf der Landwirtschaft bedingt allerdings, dass keine umfassende Geschichte der Templer im Lincolnshire dargeboten wird. Das verdeutlicht gleich das Einstiegskapitel zur Besitzaufstellung von 1185, das unmittelbar mit dieser Momentaufnahme des Ordensbestands einsetzt. Wie und wann die Ritterbrüder zu ihren Besitzungen gelangt sind, scheint für den Autor ausreichend durch die bisherige Forschung geklärt. Sehr allgemein bleibt dann auch die Feststellung, dass die Schenkungen an den Orden vor allem aus den Reihen des Kleinadels und der Barone heraus erfolgten, während die Earls oder gar das Königshaus nur sporadisch als Stifter in Erscheinung traten. Sehr lapidar erscheint auch der Hinweis, dass die Aufstellung von 1185 der Abschöpfung zur Finanzierung des Dritten Kreuzzugs diente. Ein Blick in den Anmerkungsapparat offenbart dann auch rasch die sehr begrenzten Aussagemöglichkeiten der Verzeichnisse, die als maßgebliche Quellen der Studie zugrunde liegen. Spezifischere Aussagen etwa über die Fruchtwahl im Ackerbau, die Bodendüngung, Viehsorten oder Tierkrankheiten gehen nämlich keineswegs aus den Inventarlisten hervor, sondern werden vom Autor durch Analogieschluss aus anderen Studien auf die Verhältnisse bei den Templern übertragen.

Dieses Vorgehen ist natürlich legitim, wirft mit Blick auf die Quellenauswahl aber auch Fragen auf. So wird nicht ersichtlich, ob die chronikale oder urkundliche Überlieferung nicht auch etwas zur Geschichte des Ritterordens im Lincolnshire hätte beitragen können. Mit den Templerbesitzungen gingen meist auch die Ordensarchive auf die Johanniter über, so dass zumindest aus anderen Ordensprovinzen trotz aller Überlieferungsverluste durchaus noch bemerkenswerte Urkundenfunde zu den Templern zu Tage treten können. Von Rechtsstreitigkeiten oder historiografisch festgehaltenen Anekdoten der Tempelbrüder im Lincolnshire ist bei Michael Jefferson aber kaum etwas zu erfahren und die in Aussicht gestellte Analyse des Lebens auf den Ordensgütern bleibt entsprechend farblos.

Aber selbst beim Kernpunkt der Wirtschaftsgeschichte stellt sich die Frage nach dem Erkenntnisgewinn der Studie. Denn wie die Templer ihre Ländereien organisierten und bewirtschafteten, ist längst bekannt und der Lincolnshire scheint sich lediglich durch das Fehlen der sonst häufig üblichen Finanzgeschäfte und den durch die Topografie bedingten Schwerpunkt auf der Schafzucht hervorzuheben. Möglicherweise hätte ein systematischer Vergleich mit anderen Landschaften in England oder gar mit Niederlassungen in anderen europäischen Gegenden den Blick für Besonderheiten geschärft. In dieser Studie bleibt es aber allenfalls bei vereinzelten Verweisen auf die Verhältnisse in benachbarten Shires.

Für die weitere Forschung lässt sich aus der Lektüre des angezeigten Bandes gleichwohl etwas vor allem zur Geschichte der Templerniederlassungen nach der Zeit des Ritterordens mitnehmen. So vermag Michael Jefferson am Beispiel des Lincolnshire eindrücklich aufzuzeigen, wie unmittelbar nach der Inhaftierung der Ordensbrüder die Übergriffe auf die Besitzungen vonstatten gingen. In England war es vor allem König Edward II. selbst, der die Einnahmen aus dem Verkauf von Wolle, Feldfrüchten und Vieh aus den Gütern intensiv zur Aufbesserung seiner Finanzlage nutzte. Ihm taten es bald die Barone gleich. Entsprechend gering war das Interesse an der Überlassung der Güter an den Johanniterorden. So blieb dann trotz wiederholter päpstlicher Interventionen ein großer Teil der Templerbesitzungen dauerhaft entfremdet. Der Abgleich der Inventare verdeutlicht, dass die Johanniter 1338 auf rund ein Drittel der Güter keinen Zugriff hatten und bis zu ihrer Aufhebung in England auch nicht mehr erhielten. Die Studie zeigt somit, dass in systematischen Regionalvergleichen und einer Erweiterung der Perspektive auf die weitere Geschichte unter den Johannitern noch Potenzial liegen könnte.

Matthias Heiduk