Roland Färber / Fabian Link (Hgg.): Die Altertumswissenschaften an der Universität Frankfurt 1914-1950. Studien und Dokumente, Basel: Schwabe 2019, 373 S., 72 s/w-Abb., 7 Tbl., ISBN 978-3-7965-4039-4, EUR 68,00
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Der Band geht auf ein Seminar an der Goethe-Universität zurück. Großes Engagement der Teilnehmer und der "Eindruck" der Herausgeber, die Ergebnisse seien "ein wichtiger Baustein für die Geschichte der Geistes- und Kulturwissenschaften in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts" (8f.), haben zu einem gut ausgestatteten Buch geführt. "Einleitung" (7-25) und "Resumé" (343-363) rahmen 19 studentische Beiträge, die durch Register (365-373) erschlossen sind. Leitfragen sind die strukturelle Lage der Altertumswissenschaften und wie das politische Feld sich auf Inhalte auswirkte. Gegenstand waren die rechtlichen und politischen Voraussetzungen, Aktenmaterial zu Personal und Ausstattung sowie zur Lehre, das in zahlreichen Archiven erhoben wurden, sowie einzelne Publikationen der damaligen Wissenschaftler. Im Ergebnis sind viele Details über die Bibliotheks- und Seminarfinanzen (221-231), über die Abguss- und Dia-Sammlung (233-255) und über die Entnazifizierung an der Philosophischen Fakultät (307-322) zusammengetragen.
Im Zentrum stehen aber Studien zu einzelnen oder Gruppen von Gelehrten. Ausgeklammert sollten die bleiben, zu denen es entweder viel Literatur gebe, wie etwa der Archäologe G. v. Kaschnitz-Weinberg, oder die als "zu randständig" erschienen (15). Trotz dieser Kriterien wird aber auch (mit Recht) M. Gelzer ausführlich gewürdigt oder werden Aktenstücke zum Entnazifizierungsverfahren v. Kaschnitz-Weinbergs abgedruckt (320-322). Der Anspruch, einen systematisch konzipierten Band vorzulegen, der "die Altertumswissenschaften an der Universität Frankfurt von ihrer Gründung bis in die 1950er Jahre möglichst umfassend abbilden" soll (16), erscheint kaum erfüllbar. Wer das gar von Studenten erwarten will, muss an der Komplexität der Aufgabe scheitern. Denn dafür bedürfte es der Übersicht nicht nur über die Rahmenbedingungen von Universität und Wissenschaft von der Kaiserzeit bis in die Bundesrepublik, sondern auch über die jeweiligen Entwicklungen der Fächer, über typische Studienbedingungen und Karrierewege. All das wäre noch mit den Bedingungen an der Universität Frankfurt zu verknüpfen, die fest im Bürgertum der Stadt verankert eigene Wege einschlug und deswegen im NS in besonderer Lage war. Kapitel über die erste Phase der Philologie (25-46), Archäologie (47-60) und Alten Geschichte (61-72) ergänzen bekannte Informationen mit Details aus den Akten, verfolgen aber etwa nicht den perspektivenreichen Ansatz weiter, H. Schraders Netzwerke diachron und in ihrer Dichte analytisch fruchtbar zu machen. Übersichten über Gehälter von Ordinarius, Honorarprofessor und Extraordinarius (68) und über W. Webers Lehrangebot (69 mit 3 Rechtschreibfehlern) bleiben ohne angemessene Interpretation wertlos. Plausibel, aber nicht begründet ist die Ansicht, dass die Frankfurter Umgebung Einfluss auf die soziologischen Fragestellungen von V. Ehrenberg gehabt habe (73-87). Immerhin wird durch das Gutachten als Thema der Habilitation "Das Los in der Antike" erwiesen. Leider sind die Memoiren Eva Ehrenbergs übersehen (Sehnsucht - mein geliebtes Kind, 1953).
In den Abschnitten über die NS-Zeit klafft die Lücke zwischen Anspruch und Erreichtem weit: Das Bemühen, ideologische Verstrickungen aufzudecken, erweist sich zu oft als Suche nach verräterischen Ausdrücken. Zwar ist anerkannt, dass diese allein nicht aussagekräftig sind. Aber im Einzelnen wird selten danach gefragt, inwieweit die Wörter spezifisch sind, ob sie aus Überzeugung, Opportunismus oder zur Tarnung verwendet wurden. Kaum wird geprüft, ob gedankenlos oder überlegt, ob aus guten Gründen oder in Folge von Fehleinschätzungen formuliert wurde. Oft fehlen Überlegungen, ob institutionelle oder persönliche Vorgeschichten und Konstellationen zu Gefährdungen oder Vorteilen führten und wie diese sich im Auftreten und im Umgang auswirkten. Meist ohne hinreichende Begründung, manchmal mit unfassbarer Naivität werden Haltungsnoten verteilt. Auf ein Kapitel über die Rahmenbedingungen seit 1933 (89-110) folgt die Vorstellung der Wissenschaftler. Dabei wird für M. Gelzer (111-136) eine "Distanz zu NS-Ideologie" konstatiert, obwohl "gewisse Einflüsse von NS-Ideologemen" auf sein "wissenschaftliches Denken" nachweisbar seien. Da K. Reinhardt (153-166) sich explizit gegen die Nazis exponiert hatte, musste er künftig vorsichtig sein: Verbindungen zu anderen mochten diesen oder Dritten schaden. Was im Beitrag aber grob als "Anpassungsleistung" gebrandmarkt wird, verschwendet darauf keine Gedanken. F. Altheim (137-152) wird gegenüber dem Vorwurf des Opportunismus mit der seltsamen Begründung in Schutz genommen, sein Verhalten sei angesichts der Projekte alternativlos gewesen und er habe immer Distanz gewahrt. Als W. Nestle 1943 (167-177) berufen wurde, wurden ihm Heimfahrten zugestanden. Somit sei ein "Spielraum der Universität mit der Vergabe mit Privilegien an ihre Professoren" zu konstatieren, als ob im zerbombten Frankfurt leicht eine Wohnung zu finden gewesen wäre. Nestles Verhältnis zum Regime sei vielleicht Ergebnis des Einflusses von R. Stadelmann, der "dem Nationalsozialismus ideell" nahegestanden habe, was dessen "nationalsozialistische Vorstellungen von Männlichkeit" belegen. Warum sind weder solche verschwurbelten Gedankengänge korrigiert noch die pseudogelehrte Korrektur eines Setzfehlers im Nachruf verhindert worden, die peinlich ist, wenn auf derselben Seite die Ehefrau "Getrud" heißt?
Raunend geht es dann im Beitrag über E. Wolff zu (179-197), der vom Dritten Humanismus geprägt gewesen sei, "zu Beginn des NS-Regimes eine der NS-Weltanschauung widerstrebende Denkrichtung [...], die später jedoch in den Nationalsozialismus integriert wurde." Wolffs berühmter Germania-Aufsatz weckt "den Verdacht eines den Germanen zugesprochenen Superioritätsgedankens", was verkennt, dass es um ein besonderes Verstehen-Wollen bei Tacitus geht und so nicht geeignet ist, den Verfasser mit der Hermeneutik des Verdachts zu überziehen. Konzeptionell schief wird bei H. Langerbeck nach "kritische[n] Töne[n] gegenüber dem NS-Regime" (199-209) gefahndet, dem 1943 promovierten H. Rahn (211-219) unkritisch die "unkritische" Verwendung des Begriffs "Entartung" vorgehalten oder bei E. Langlotz bemerkt, dass zwar nicht Schriften und Veranstaltungstitel, wohl aber ein Kriegsvortrag politische Botschaften und Ideologeme widerspiegelten. Am Fall der Archäologie-Assistentin H. Heyland (271-284) werden mögliche NS-Neigungen in ihrer Umgebung untersucht, statt zu überlegen, wie 1941 eine in Kunstgeschichte promovierte Frau überhaupt in diese Stellung kommen konnte. Mehr als die Beihilfeabrechnungen hätte zum Verständnis beigetragen, wenn man das Netzwerk hinter diesem Karriereschritt betrachtet hätte (der Vater war der Frankfurter Betriebswirtschaftler F. Schmidt), das nicht über NS-Knoten geknüpft sich anscheinend gleichwohl als tragfähig erwies. Abgewogen wird am Fall des Bauforschers F. Wachtsmuth sichtbar, wie sich im Vorwurf der Parteinähe unterschiedliche Erfahrungen und vielschichtige Konflikte mischten (323-341). Das Porträt von E. Homann-Wedeking breitet private Details aus und beleuchtet dessen Engagement in der unmittelbaren Nachkriegszeit (285-305).
Fast überall besteht der Mangel in einem unzureichenden Problembewusstsein. Dafür kann man nicht die Studenten verantwortlich machen, deren Namen deswegen hier nicht genannt sind. Späterer Forschung kann der Sammelband zeigen, wie im 21. Jahrhundert durch den auf dem Nachwuchs lastenden Publikationsdruck Takt und Maßstäbe verloren gehen konnten.
Tassilo Schmitt