Ingeborg Schnelling-Reinicke / Susanne Brockfeld (Hgg.): Karrieren in Preußen - Frauen in Männerdomänen (= Quellen und Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte; Beiheft 15), Berlin: Duncker & Humblot 2020, 351 S., 20 Farb-, 13 s/w-Abb, eine Tbl., ISBN 978-3-428-18035-6, EUR 119,90
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Die Herausgeberinnen erläutern in ihrem Vorwort, dass der Band Beispiele aus den Bereichen Arbeit, Kunst, Militär und Politik/Diplomatie versammle und eben nicht nach den klassischen Themen frage. Damit ist ein denkbar breites Spektrum abgedeckt, wobei sich der Rezensentin nicht erschließt, was im Gegensatz dazu dann die "klassischen Themen" gewesen wären. Das Buch ist nach den genannten vier Bereichen gegliedert, der Untersuchungszeitraum reicht von der Frühen Neuzeit bis ins frühe 20. Jahrhundert - mit einem Ausblick auf die Gegenwart im einleitend abgedruckten Abendvortrag von Gunilla Budde, in dem mit Jutta Limbach auch eine erst kürzlich verstorbene Frau vorgestellt wird. Mit zwei Ausnahmen werden jeweils Gruppen von Frauen vorgestellt. Nicht ganz zufällig sind die beiden Ausnahmen (Königin Augusta sowie Johanna von Puttkamer) im Bereich von Politik und Diplomatie und ständisch im adligen bzw. dynastischen Bereich angesiedelt, wo die Quellenlage besser ist.
Das damit angedeutete Problem der Überlieferung scheint in vielen der Beiträge auf, so wenn z.B. Frauen in der Zunftüberlieferung hinter ihren Männern geradezu "verschwinden", ein Ungleichgewicht zwischen dem Vorhandensein von Selbstzeugnissen von Frauen und Männern in der Armee konstatiert wird, oder auf eine eher zufällig entdeckte Korrespondenz der Vorsitzenden des "Kunstvereins der Schwestern" zurückgegriffen werden kann.
Wie methodisch breit gefächert die Frauen- und Geschlechtergeschichte ist, zeigen die unterschiedlichen Ansätze, mit denen die Autorinnen und Autoren sich ihren Gegenständen nähern. Das wird bereits in der ersten Sektion zu "Arbeit" deutlich. Monika Wienfort fragt in ihrem Beitrag über ländliche Frauenarbeit konsequent nach dem Stellenwert von Gender, z.B. in der preußischen Gesindeordnung, und zwar für Frauen und Männer, und kommt zu dem Ergebnis, dass dessen Bedeutung im Laufe der Zeit zunahm. Claudia Strieter widmet sich mit der Position von Frauen in Zünften einem in der Forschung wiederholt diskutierten Gegenstand und vermag die These von der angeblichen Zurückdrängung der Frauen aus dem Handwerk für ihre Untersuchungsbeispiele Soest und Lippstadt erheblich zu differenzieren. In dem Beitrag von Susanne Knoblich über Frauenproteste um 1900 wird deutlich, dass man kaum von "der" Frauenbewegung sprechen kann, da die Position der Frauen nicht nur von ihrem Geschlecht, sondern auch von ihrer Klassenzugehörigkeit beeinflusst wurde, weshalb die Frauen nur selten über die Klassengrenzen hinweg zu gemeinsamen Handlungen fanden - und auch von den Obrigkeiten durchaus unterschiedlich behandelt wurden, indem die Arbeiterinnenvereine stärkeren Restriktionen ausgesetzt waren als die Zusammenschlüsse bürgerlicher Frauen.
Auch der Bereich "Kunst" beginnt mit einem dezidiert gendergeschichtlichen Beitrag, in dem Angelika Schaser ausführt, weshalb Kreativität keineswegs eine genderunabhängige Kategorie gewesen sei, da sie nur schwer mit typischen Frauenrollen vereinbar war. Auf diesen eher allgemeinen Beitrag folgen Fallstudien von Birgit Verwiebe zu den Malerinnen des späten 18. und des 19. Jahrhunderts, deren Werke in der Alten Nationalgalerie vertreten sind (mit Vorstellung einzelner Gemälde und Malerinnen) sowie von Carola Muyers über den ersten Berufsverband bildender Künstlerinnen im deutschsprachigen Raum, der 1867 in Berlin gegründet wurde. Beide Beiträge zeigen implizit wie explizit die Hürden, die Künstlerinnen, wenn sie nicht nur dilettierend tätig sein wollten, überwinden mussten, aber auch die Bedeutung der Vernetzung untereinander sowie die Notwendigkeit männlicher Unterstützung.
Dass das Militär zwar ein männlich dominierter, aber kein exklusiv männlicher Bereich war, hat die Forschung gerade für die Frühe Neuzeit in den letzten Jahren herausgearbeitet. Diese allgemeinen Erkenntnisse werden hier für Preußen vertieft, so von Marian Füssel für den Siebenjährigen Krieg, indem er eine Vielzahl von Rollen vorstellt, in denen Frauen am Krieg beteiligt waren, von der Frau als Gastgeberin bei Einquartierungen über im Krieg vergewaltigte Frauen bis zu publizistisch tätigen Frauen. Weniger das Militär selbst als die Folgen des Fehlens von Männern infolge von Krieg und Reservistendienst in der bäuerlichen Familienökonomie thematisiert Denny Becker. An sechs Quellen, die im Regest vorgestellt werden, zeigt er auf, dass die Arbeitsteilung in den bäuerlichen Familien umso weniger geschlechtsspezifisch ausfiel, je mehr die Familien von Armut bedroht waren. Einem Randphänomen, das freilich stets viel Aufsehen erregte, ist der Beitrag von Thomas Weißbrich gewidmet: den in der Armee als Männer dienenden Frauen. Dass diese wenigen Fälle auch überproportional die Aufmerksamkeit der Forschung fanden, liegt daran, dass durch die Grenzüberschreitungen geschlechtsspezifische Rollenerwartungen und -zuschreibungen besonders markant hervortreten. Das gilt in noch stärkerem Maße, wenn man wie Weißbrich den medialen Umgang mit diesen Fällen untersucht. Er kommt zu dem Ergebnis, dass die Grenzüberschreitungen der Frauen in der männlich geprägten Erinnerungskultur des 19. Jahrhunderts dann zu einer Bestätigung der alten Geschlechterrollen verwendet wurden.
Wie sehr sich die Beteiligung der Frauen am Krieg seit der Frühen Neuzeit geändert hatte, zeigt en passant der Beitrag von Sophie Häusner über die Rotkreuz-Schwestern im Ersten Weltkrieg. Während die Versorgung von Verwundeten in frühneuzeitlichen Heeren überwiegend den Frauen im Tross überlassen und damit individualisiert war, setzten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Bestrebungen ein, diesen Bereich zu professionalisieren und staatlich zu organisieren. In großem Maßstab wurden diese unter dem Dach des Roten Kreuzes organisierten, aber in das Militär integrierten Frauen erstmals im Ersten Weltkrieg tätig. Um die Grenze zum männlichen Militär möglichst aufrecht zu erhalten, wurde die weibliche Rolle der Frauen durch die Betonung ihrer mütterlichen Aufgaben hervorgehoben - ohne dass damit die mit der vielfachen Grenzüberschreitung verbundenen Folgen bzw. in der zeitgenössischen männlichen Wahrnehmung: Gefahren vermieden werden konnten.
Im vierten Teil zu "Politik/Diplomatie" nutzt Birgit Aschmann das Konzept des "political player[s]", um in ihrem Beitrag über Königin Augusta den politischen Einfluss von Personen, in diesem Fall: der Königin, jenseits der Ausübung offizieller Ämter zu fassen. Dieses Vorgehen weist gewisse Analogien zum Konzept der "regierenden Fürstin" von Katrin Keller auf - und nicht ganz zufällig identifiziert Aschmann ebenfalls die Heiratspolitik als eine wichtige Einflusssphäre der Königin. Allerdings waren die Handlungsspielräume Augustas enger als die der frühneuzeitlichen Fürstinnen, da die Institutionalisierung weiter vorangeschritten und die Geschlechterrollen stärker polarisiert waren. Interessanterweise beschäftigt sich Pauline Puppel dann mit der Diplomatengattin Johanna von Puttkamer, der Ehefrau Otto von Bismarcks, also jenes Mannes, der maßgeblich dafür verantwortlich war, dass der politische Einfluss Königin Augustas eingeschränkt wurde. Sie stellt Johanna als Teil eines Diplomaten-Arbeitspaares vor (in der Zeit von Bismarcks Tätigkeit als Gesandter in Frankfurt und St. Petersburg), da der "Gesandtin" - so bereits der zeitgenössische Terminus - genau festgelegte Aufgaben übertragen waren, ohne deren Erfüllung eine Gesandtschaft nicht funktionierte. Zwischen diesen beiden Fallbeispielen bietet Hillard von Thiessen einen konzisen Überblick über die neuere Forschung zu Frauen in Außenbeziehungen, also einem Bereich, der lange Zeit als reine Männerdomäne galt, auch weil die Perspektive zu sehr auf die in der Tat Männern vorbehaltene Ausübung von Ämtern verengt war.
Ob für diesen facettenreichen Band der Titel "Karrieren in Preußen" glücklich gewählt ist, sei dahingestellt. Karriere zu machen war sicherlich nichts, was Königin Augusta durch den Kopf ging, und ein solches Ziel dürfte weder für Soldatenfrauen oder überhaupt Frauen im Krieg handlungsleitend gewesen sein noch für die Frauen, die um 1900 in Berlin auf die Straße gingen, oder das weibliche Gesinde im ländlichen Preußen. Der Band bietet eine Sammlung sehr anregender Studien durchaus unterschiedlichen Zuschnitts: Teilweise handelt es sich um Einblicke in laufende Forschungsprojekte, teilweise um die Anwendung allgemeiner Erkenntnisse auf Preußen, teilweise eher um die Formulierung von Desideraten. Insgesamt zeigt sich so das Potential, aber auch die Notwendigkeit geschlechtergeschichtlicher Studien zum eben auch nur zur Hälfte maskulinen Preußen.
Bettina Braun