Franziska Neumann / Jorun Poettering / Hillard von Thiessen (Hgg.): Konkurrenzen in der Frühen Neuzeit. Aufeinandertreffen - Übereinstimmung - Rivalität (= Frühneuzeit-Impulse; Bd. 5), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2023, 757 S., 12 s/w-Abb., ISBN 978-3-412-52697-9, EUR 99,00
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Alle zwei Jahre veranstaltet die Arbeitsgemeinschaft Frühe Neuzeit im Historikerverband im Wechsel mit dem Gesamt-Historikertag ihre Heerschau, die inzwischen zum fünften Mal einen Tagungsband von 600-800 Seiten mit 40 bis 50 Beiträgen hervorgebracht hat. Der Rezensent durfte diese Produktion von Anfang an verfolgen und sich über ihre Ergebnisse Gedanken machen. Es handelt sich schließlich um ein paradigmatisches Ergebnis quasi-industriell organisierter Forschung nach dem Muster der Naturwissenschaften, das der früher üblichen individuellen Kreativität inzwischen regelmäßig ein Korsett oder gar eine Zwangsjacke verpasst. Denn über die Gegenstände der Forschung befinden andere, die Inhaber der Deutungshoheit mittels Förderprogrammen einerseits, angefangen mit Graduiertenkollegs, mittels Tagungen andererseits, sofern diese nicht ohnehin aus vorgegebenen Programmen hervorgehen. Die bloße Sammelbezeichnung "Frühe Neuzeit", die vor 50 Jahren noch innovativ war und erst allmählich ihre Institutionalisierung durch das große "F" erringen konnte, genügt nicht mehr - Forschung muss heute Programm vorgeben. In diesem Sinne befassten sich die FrühneuzeitlerInnen seither mit "Grenzen" (erschienen 2010), "Sicherheit" (2012), "Praktiken" (2016), mit dem "Meer" (2021) und jetzt zuletzt mit "Konkurrenzen" (2023). Zwei weitere Bände über "Sprachen" und "WissensWelten" sind in Vorbereitung. Das Problem der Veranstalter ist das Finden eines Themas von hinreichender anthropologischer Allgemeinheit, ohne damit inhaltsleer zu werden. Das Problem von BeiträgerInnen hingegen, die ihrer sozialen Rolle entsprechend unbedingt präsent sein müssen, ist das Finden eines Einzelgegenstandes, der einerseits dem Thema irgendwie gerecht wird, andererseits die eigene Arbeit weder verleugnet noch verfälscht. Die Veranstalter haben es leichter, denn die einzelnen Beiträge müssen sich von Fall zu Fall daran messen lassen, wie weit sie deren Vorgaben unverkrampft gerecht zu werden wissen.
Die in dem vorliegenden Band dokumentierte Tagung wurde 2019 in Rostock durch Hillard von Thiessen organisiert, der mit seiner allgemeinen Einleitung ebenso wie der Abendvortrag von Thomas Bauer über zwei rivalisierende muslimische Gelehrte frühneuzeitliche Konkurrenzen als Fälle vormoderner Ambiguitätstoleranz identifiziert. Denn Konkurrenz war damals noch nicht exklusives Leitprogramm im Sinne der modernen kapitalistischen Logik des Rechtes des Stärkeren, sondern durch normative Rahmung in eine Welt eingebettet, in der Solidarität ebenso selbstverständlich sein konnte wie Rivalität. Dabei musste der Gegensatz zwischen beiden keineswegs ausgetragen werden; auch dauernde "Konkurrenz wider Willen" (Stollberg-Rilinger) zwischen politischen Akteuren war möglich. Auf der Metaebene war "Normenkonkurrenz" damals ohnehin noch selbstverständlich.
Problematischer ist natürlich die Identifikation von konkreten Konkurrenzräumen in den 49 Beiträgen der 15 Sektionen, deren Einleitungen und Kommentaren. Von Thiessen weist zu Recht schon eingangs darauf hin, dass der Band trotz seines riesigen Umfangs zwei wesentliche Lücken aufweist: Wahlen einerseits, Kriege andererseits kommen allenfalls am Rande vor. Dabei wären die elaborierten frühneuzeitlichen Wahlverfahren durchaus geeignet gewesen, die Verbindung von Konkurrenz und Solidarität zu demonstrieren, wie von Thiessen an den Papstwahlen nachweist. Zu 13 Konkurrenzräumen enthält der Band drei, häufiger vier einschlägige Beiträge: zu französischen und englischen Königsschiffen als Medien von Statuskonkurrenz, dasselbe zu Rassehunden, Rennpferden und Falken bei wechselnder Wahrnehmung der Tiere, zum konfessionellen Wettbewerb mit Schwerpunkt auf der Präsenz Hallescher Pietisten in Wien, Istanbul, Ägypten und Madras, zur Konkurrenz von Ständen und Gesandten im Reich des 17. Jahrhunderts, zu Konkurrenz als Folge der Zuwanderung von Neubürgern und anderen "Ausländern" in Philippsburg, Bilbao, Neuspanien und Rio de Janeiro, zum Zusammenspiel von Geschäftsfreundschaft und Konkurrenz im binneneuropäischen Fernhandel, dazu eine Sektion in englischer Sprache aus einem Projekt der finnischen Akademie zu Konflikten zwischen Ärzten, Kaufleuten und Diplomaten im aufgeklärten Schweden und Finnland. Es folgen weitere Sektionen zu Konfliktfeldern der preußisch-österreichischen Rivalität ebenfalls im 18. Jahrhundert aus der Perspektive französischer Diplomaten, militärischer und dynastischer Konflikte sowie der Konkurrenz um statistisch erfassbare juristische Effektivität, weiter zur Wissensgeschichte von Gelehrtenkonkurrenz zwischen Historikern, gelehrten Journalen und Fakultäten, zum immerwährenden Reichstag als Konkurrenzraum auf verschiedenen Feldern, zum Wettbewerb von Zünften um Ämter, Arbeit und Innovation. Die beiden letzten Sektionen schließlich erklimmen ein abstrakteres Niveau mit der paradigmatischen Untersuchung konkurrierender Netzwerke von Gelehrten, Mäzenen und Entdeckern sowie mit beispielhaften Überlegungen zum Entscheiden unter den Konkurrenzbedingungen von Politik, Justiz und Alltagserfahrung.
Zwei weitere Beiträge stehen darüber hinaus zu Recht als Sektionen für sich allein. Christina Brauner und Alexander Engel bieten unter der Überschrift "Konkurrenz und ihre Grenzen" einen instruktiven Überblick über "Debatten - Konzepte - Forschungsperspektiven", den sich bereits von Thiessen zu Nutze machen konnte. Georg Simmel, Theodor Geiger und Tobias Werron kommen zur Sprache, bevor Gegenstände, Akteure und Modi vormoderner und moderner Konkurrenzpraktiken kontrastiv behandelt werden. Faszinierend ist zweitens der hochoriginelle Versuch von Josef Köstlbaur, Eugen Pfister und Tobias Winnerling, "Digitale Spiele als hyperkompetitive Inszenierung frühneuzeitlicher Konfliktfelder" darauf zu prüfen, was Computerspiele von der historischen Frühneuzeit übrig lassen. Viel ist es nicht, denn sie kennen nur Sieger und Verlierer moderner Art ohne Platz für frühneuzeitliche Ambiguität!
Die AutorInnen verstehen es durchweg, ihre Beiträge für das Rahmenthema anschlussfähig zu gestalten und dabei nichtsdestoweniger ihre individuelle Gelehrsamkeit erfolgreich zu demonstrieren. Umso bedauerlicher ist das Fehlen der üblichen Kurzinformation über diese zahlreichen Personen und vor allem die Erschließung von so viel neuem Wissen durch ein Register. Ist das im Zeitalter von Digitalisierung möglicherweise gar nicht mehr nötig oder vielleicht stattdessen sogar nötiger denn je? Bezeichnenderweise gibt es außerdem trotz der Ausführungen von Thiessens, Brauners und Engels nicht einmal den Versuch einer Zusammenfassung; allenfalls sektionenweise mag so etwas gelungen sein. Geschichts- wie Naturwissenschaft stellen der Forschung Aufgaben und bearbeiten dann die betreffenden Probleme en Detail. Naturwissenschaft erfordert allerdings am Ende zusammenhängende Ergebnisse, während Historie auch und gerade im Zeichen quasi-industrieller Großforschung mehr denn je in uferloser Wissensvermehrung als Selbstzweck ertrinkt. Ist sie gerade deshalb der höchste Triumph der Geschichtswissenschaft oder doch eher eine gescheiterte Imitation der Naturwissenschaft?
Wolfgang Reinhard