Geschenktipps zu Weihnachten

Charlotte Klonk, Berlin


1. A.S. Byatt, Das Buch der Kinder. Roman. Aus dem Englischen von Melanie Walz. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2011. 896 S., 26,00 EUR

A.S. Byatts Roman Das Buch der Kinder, 2009 in England erschienen, ist jetzt übersetzt in Deutschland herausgekommen. Eigentlich gehört es zum Metier der Kunsthistoriker, die Welt der Formen und Farben sprachloser Objekte vor dem geistigen Auge zum Leben zu erwecken, ohne dabei die Vergangenheit ihrer Existenz zu leugnen. Doch diese Schriftstellerin ist eine Meisterin auf dem Gebiet. Im Buch der Kinder sind es vor allem ganz außergewöhnliche Töpferwaren, die in einer Anschaulichkeit beschrieben werden, dass man meinen könnte, man hielte sie gerade selbst wie gebannt in den Händen. Die Hoffnungen, Träume und Wünsche einer ganzen Arts and Crafts Generation um 1900 finden hier ihre schillerndste Form des Ausdrucks und sind gleichzeitig eingebunden in ein dichtes Netz historischer Gegebenheiten. Das Buch der Kinder ist vielleicht die am besten recherchierteste, umfassendste, und dennoch unterhaltsamste, ergreifendste und eben anschaulichste Kulturgeschichte, die je für die utopiegefüllte Zeit Englands kurz vor und nach der Jahrhundertwende geschrieben wurde.

2. Niklas Maak, Fahrtenbuch. Roman eines Autos. Carl Hanser Verlag, München 2011. 364 S., 19,90 EUR

Niklas Maaks Fahrtenbuch leistet Ähnliches für die ausgesprochen fremdgewordenen letzten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts in der BRD. Die Idee ist so einfach wie überzeugend: anhand des Fahrzeugbriefs eines Mercedes 350 SL, der 1971 zum ersten Mal zugelassen wurde, recherchiert der Autor die Geschichte seiner zehn Besitzer und ihrer unterschiedlichen Lebensentwürfe. Mit jeder Erzählung tauchen wir in eine eigene, liebevoll nachgezeichnete Welt am Ende des 20. Jahrhunderts ein. Das Überraschende aber ist, dass mit jeder der Figuren zugleich eine ganze Epoche wieder aufersteht: die Zeit des kalten Kriegs, des Mauerfalls, des Börsencrashs - all das ist in die Geschichte der Menschen eingeschrieben. Es sind vor allem die Dinge, mit denen sie sich umgeben, die davon erzählen. Da ist der Atombunker unter dem Bungalow des ersten Besitzers, der im Laufe der Jahre zu einem einsamen Partykeller mutiert, da sind im Jahr 1990 die verbotenen "Trabbi Demolition Derbys" am Autostrand von St. Peter-Ording eines Hamburger Söhnchens aus gutem Hause oder eben die Xetra-Dax-Kurve im iPhone eines gescheiterten Managers im Jahr 2008. Fast hätte man schon die "Happen" von Langnese vergessen und sich nicht mehr an die Hörer in öffentlichen Telefonzellen erinnert, die nach kaltem Rauch rochen. Fahrtenbuch ist eine überwältigend sinnliche Geschichte der Bundesrepublik.

3. Hito Steyerl, November, DVD, 25min. A / D 2004, auszuleihen über Sixpackfilm Wien, Ausleihgebühr 100,- EUR

Von Hoffnungen, Träumen und Wünschen vergangener Zeiten erzählt auch der Film November der Künstlerin Hito Steyerl. Doch im Gegensatz zum Buch der Kinder und Fahrtenbuch führt kein Weg zurück zur materiellen Qualität dieser historischen Sehnsüchte. Im Zentrum der dokumentarischen Annäherung des Films steht eine junge Frau, Andrea, deren jugendliche Freiheitsfantasien sie 1998 zum Terrorismus bringen und schließlich unter mysteriösen Umständen in Kurdistan umkommen lassen. Das filmische Porträt ergibt jedoch kein schlüssiges Bild, bleibt bewusst in längst bekannten Zitaten, Gesten und popkultureller Aneignung diverser Freiheitskämpferrituale stecken und verweigert sich so dem Projektionsraum der Fantasie. Sehnsucht, sei es nach Weltveränderung oder der verlorenen Freundin, bleibt hier konsequent ohne Erfüllung. Es ist angemessen, dass diese DVD nicht besessen, sondern nur ausgeliehen werden kann.