Geschenktipps zu Weihnachten

Kärin Nickelsen, München


Philip R. Sloan / Brandon Fogel (eds.): Creating a Physical Biology: The Three-Man Paper and Early Molecular Biology, Chicago / London 2011.

Als "Begräbnis erster Klasse" bezeichnete der Physiker Max Delbrück die Publikation eines Aufsatzes, den er gemeinsam mit dem Genetiker Nikolai Timofeeff-Ressovsky und dem Physiker Karl G. Zimmer verfasst hatte: Über die Natur der Genmutation und der Genstruktur (1935). Dass diese Einschätzung in Bezug auf Delbrücks Zeitgenossen übertrieben war, ist bekannt; in der aktuellen Wissenschaftsgeschichte wird jedoch diese so genannte "Dreimännerarbeit" über die materielle Natur des Gens deutlich häufiger zitiert als gelesen. Und selbst das Zitat bezieht sich in der Regel auf die Verarbeitung des Inhalts in Erwin Schrödingers Buch Was ist Leben (1944). Dies ist umso bedauerlicher und folgenreicher, als Schrödinger zentrale Aspekte des Originalaufsatzes missverstand - so interpretierte er ihn etwa radikal reduktionistisch, was von den Autoren durchaus nicht intendiert war. Neben einer englischen Version der "Dreimännerarbeit" bietet der hier vorgestellte Band eine Reihe höchst lesenswerter Beiträge, die den Kontext des Aufsatzes und seine Bedeutung für die Entwicklung der Molekularbiologie auf der Grundlage neuer Quellen beleuchten. Das Bild, das hierin entworfen wird, ist deutlich komplexer (und deutlich interessanter) als die klassische Lesart des Aufsatzes als ersten Schritt einer Entwicklung, die 1953 geradezu notwendig in der Entdeckung der Doppelhelix mündete - es bleibt zu hoffen, dass dieser neue Blick auf die Anfänge der Molekularbiologie ebenso breit rezipiert wird wie dazumal die "Dreimännerarbeit" selbst.

Ann M. Blair: Too Much To Know: Managing Scholarly Information Before The Modern Age, New Haven / London 2010.

"Quand j'ay fait quelque chose, je l'oublie presque entierement au bout de quelques mois, et plustost que de le chercher dans un chaos de brouillons que je n'ay pas le loisir de digerer, et de marquer par rubriques, je suis obligé de faire le travail tout de nouveau", so ein in diesem Buch zitierter Stoßseufzer von Leibniz. In Too much to know erzählt Ann Blair anschaulich und immens materialreich den Umgang mit der Plage des "Zuviel" an Büchern und Informationen, vom Mittelalter bis in die frühe Neuzeit. Der Entwurf von Inhaltsverzeichnissen und Indizes, die Debatte über geeignete Exzerpte und Notizzettel sowie schließlich die Organisation und Auswertung der auf diese Weise gesammelten Perlen; die Verwendung von Buchkatalogen und Florilegia als Orientierungshilfen im Wust des Wissens, die Wahl der richtigen Überschrift für die eigenen Aufzeichnungen und das Murren über ungeeignete Ordnungsprinzipien der anderen; die Zusammenstellung und Verwendung voluminöser Kompendien und Enzyklopädien - all dies prägte zutiefst die Arbeitsweise der vormodernen Gelehrsamkeit, wie Ann Blair überzeugend nachweist. Ein überaus anregendes Buch, das uns wieder einmal vor Augen führt, wie wenig originell wir sind - sowohl in unseren Klagereden über die Ärgernisse des akademischen Alltags als auch in unseren Lösungsstrategien.

Dirk Kurbjuweit: Kriegsbraut, Berlin 2011.

Der Plot dieses Romans erscheint auf den ersten Blick als bewährte Mischung von Gewalt und Kitsch; doch werden Gewalt und Kitsch hier inszeniert, um schonungslos ein Stück deutscher Zeitgeschichte vor Augen zu führen. Erzählt wird die Geschichte einer jungen Frau, Esther, die ihren Heimatort auf Rügen verlässt und sich nach einer unglücklichen Eskapade in Berlin zur Grundausbildung bei der Bundeswehr meldet. Esther sucht der sinnlosen Langeweile ihres Alltags zu entkommen, und diese Sinnsuche endet im Jahr 2006 in der staubigen Hitze eines Camps in Afghanistan. Sie versteigt sich in die Idee eine Liebe, die scheitern muss, und gerät schließlich, mit dem schmutzigen Geschäft des Krieges konfrontiert, in ein moralisches Dilemma, aus dem ihr niemand heraushilft - weder ihre Vorgesetzten vor Ort, noch ihre Freunde und Familie in Deutschland. Kurbjuweit beschreibt die Ereignisse konsequent aus der Perspektive von Esther, die weder sonderlich klug, noch sonderlich sympathisch ist; die ihren Platz in der Welt sucht, diesen aber weder in Deutschland, noch in Afghanistan findet. Sie bleibt ein selbstbezogener Fremdkörper, ebenso wie das Camp als Fremdkörper präsentiert wird: als eine deutsche Enklave, die beeindruckend unbeeindruckt bleibt von der afghanischen Realität um sie herum; und die - wie auch der Rest von Deutschland - über weite Strecken ignoriert, warum sie eigentlich dort ist: um Krieg zu führen.

Thea Beckmann: Kreuzzug in Jeans, München 2008.

Zum Abschluss eine Kindheitserinnerung, denn die erste deutsche Ausgabe des Buches erschien bereits 1978 unter dem Titel Kreuzzug ins Ungewisse. Ein 14-jähriger Schüler, Rolf Wega, lässt sich mit einer Zeitmaschine aus dem 20. Jahrhundert ins Mittelalter versetzen, in das Jahr 1212. Geplant war der Besuch eines Ritterturniers in Montgivray; stattdessen gerät Rolf in einen Kinderkreuzzug, der entlang des Rheins südwärts wandert, mit dem Ziel, die Sarazenen aus Jerusalem zu vertreiben. Rolf verpasst die Rückkehr in seine eigene Zeit und schließt sich dem Kreuzzug an. Er re-organisiert das Unternehmen, um zumindest einen Teil der insgesamt 8000 Kinder vor dem Verhungern und Erfrieren zu retten; und deckt schließlich die Hintergründe auf: denn in Tat und Wahrheit sollten die Kinder nicht nach Jerusalem, sondern auf die Sklavenmärkte Nord-Afrikas gebracht werden. Das Ganze ist auch heute noch ein spannender, gut geschriebener Roman für Kinder, der (anders als die meisten neueren Bücher dieses Genre) unaufdringlich und ohne Zeigefinger sehr viel über das Mittelalter erzählt. An den stillschweigend eingebauten Pointen können sich dabei auch Erwachsene noch freuen: so freundet sich etwa Rolf mit einem wandernden Mathematik-Studenten aus Pisa an und bringt diesem den Gebrauch der arabischen Zahlen bei (inklusive der Null) - und der Name dieses Studenten ist: Leonardo Fibonacci.