Rezension über:

Hubert Wolf: Verdammtes Licht. Der Katholizismus und die Aufklärung, München: C.H.Beck 2019, 314 S., ISBN 978-3-406-74107-4, EUR 29,95
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Rezension von:
Christoph Nebgen
Institut für Katholische Theologie, Universität des Saarlandes, Saarbrücken
Redaktionelle Betreuung:
Sebastian Becker
Empfohlene Zitierweise:
Christoph Nebgen: Rezension von: Hubert Wolf: Verdammtes Licht. Der Katholizismus und die Aufklärung, München: C.H.Beck 2019, in: sehepunkte 20 (2020), Nr. 5 [15.05.2020], URL: https://www.sehepunkte.de
/2020/05/33234.html


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Hubert Wolf: Verdammtes Licht

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Im Jahr 1908 führte der Würzburger Kirchenhistoriker Sebastian Merkle den Terminus "Katholische Aufklärung" in die Historiografie ein und machte damit auf ein Phänomen aufmerksam, das manchem Betrachter zunächst wie ein innerer Widerspruch gewirkt haben mag, galt doch die Aufklärung lange als ein "bloßes Nordlicht" (Johann Georg Hamann) und damit als genuin protestantisch. In Hinblick auf die konfessionell geprägte Bildungslandschaft im Alten Reich machte sich in der Folge zunächst Notker Hammerstein um entsprechende "Aufklärung" verdient [1], Karl Otmar von Aretin [2] und Harm Klueting [3] weiteten die Erforschung des Themas aus. Im Laufe der letzten zehn Jahre waren es vor allem die Veröffentlichungen des deutsch-amerikanischen Kirchenhistorikers Ulrich Lehner, der sich verstärkt der ganzen Bandbreite einer explizit katholischen Aufklärung widmete.[4] In der gleichen Zeit entstandene Einzelstudien, wie etwa die herausragende Arbeit von Sascha Weber über die kurmainzische Reformpolitik unter Emmerich Joseph von Breidbach-Bürresheim [5], die aufzeigte, wie in den geistlichen Staaten unter dem schützenden Dach der alten Reichskirche - entgegen anderslautender Meinungen - politische und theologische Reformen umgesetzt werden konnten, da der "Ortskirche" unter ihren spezifisch "deutschen" Voraussetzungen ganz eigene Spielräume eröffnet waren.

Wer nach oberflächlicher Betrachtung des Buchcovers erwartet, mit dem vorliegenden Band eine Synthese der diesbezüglichen Forschungen auf neuestem Stand vor sich liegen zu haben, sieht sich leider - ganz buchstäblich - hinters Licht geführt. Die oben genannten neueren Forschungen finden nicht einmal in den Fußnoten Berücksichtigung. Vielmehr handelt es sich um eine Kompilation von bereits an anderen Stellen veröffentlichten Aufsätzen Wolfs, die nur in einem weiteren Sinne mit dem Phänomen Aufklärung und Katholizismus zu tun haben und deren ursprüngliche Titel teilweise "lichtmetaphorisch" abgewandelt wurden. Überwiegend werden in den versammelten Beiträgen, die übrigens passend zum sechzigsten Geburtstag Wolfs erschienen, Aspekte der Kirchengeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts abgehandelt. Zumindest der Auftakt ("Prolog: Unmöglich? Katholische Aufklärung"), der bereits Bestandteil der Akten des ersten internationalen Kongresses zur Erforschung der Aufklärungstheologie von 2014 war, widmet sich dem von Sebastian Merkle mit einem Namen versehenen Phänomen. Es folgen u.a. Beiträge zur römischen Zensur, zum "emsländischen Durchblicker" Ludwig Windthorst, zu 100 Jahren Katholikentagen, Matthias Erzberger, Eugenio Pacelli als politischem Kleriker (Titel: "Ein römischer Nachtwächter?") und endet schließlich mit einem Epilog, der als Appell an die Historiografie zu verstehen ist, trotz der zahlreichen "turns" Quellenstudium und Archivarbeit weiter hochzuschätzen: summa summarum also eine Synthese der großen Forschungsthemen, mit denen sich Wolf in den letzten Jahrzehnten überaus produktiv auseinandergesetzt hat.

Das Buch liest sich obgleich des letztendlich recht disparaten Themenspektrums flüssig und anregend. Es bildet den Querschnitt der Forschungsthemen eines engagierten Kirchenhistorikers ab, der sein Fach als kritischen Begleiter kirchlicher Reform verstanden wissen möchte. Wer sich aber mit Katholizismus und Aufklärung im engeren historiografischen Sinne beschäftigen möchte, greift am besten zu den zu Beginn genannten Veröffentlichungen.


Anmerkungen:

[1] Notker Hammerstein: Aufklärung und katholisches Reich. Untersuchungen zur Universitätsreform und Politik katholischer Territorien des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation im 18. Jahrhundert (= Historische Forschungen; Bd. 12), Berlin 1977.

[2] V.a. in seinem vierbändigen Werk: Das Alte Reich 1648-1806, Stuttgart 1993-2000.

[3] Harm Klueting (Hg.): Katholische Aufklärung - Aufklärung im katholischen Deutschland, Hamburg 1993.

[4] Vgl. Ulrich Lehner / Michael Printy: Brill's Companion to the Catholic Enlightenment, Leiden 2010; Ulrich Lehner / Jeff Burson: Enlightenment and Catholicism in Europe, Notre Dame 2014; Ders.: Enlightened Monks. The German Benedictines 1740-1803, Oxford 2011; Ders.: The Catholic Enlightenment. The Forgotten History of a Global Movement, Oxford 2016 (dt.: Die katholische Aufklärung. Weltgeschichte einer Reformbewegung, Paderborn 2017).

[5] Sascha Weber: Katholische Aufklärung? Reformpolitik in Kurmainz unter Kurfürst-Erzbischof Emmerich Joseph von Breidbach-Bürresheim 1763-1774 (= Quellen und Abhandlungen zur mittelrheinischen Kirchengeschichte; Bd. 132), Mainz 2013.

Christoph Nebgen