Frank Uekötter: Von Vögeln, Mächten und Bienen. Die Geschichte des Landesbunds für Vogelschutz in Bayern, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2020, 176 S., 18 s/w-Abb., ISBN 978-3-525-35824-5, EUR 25,00
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Die Geschichte der bayerischen Natur- und Umweltschutzbewegung ist mittlerweile recht gut erforscht, wozu auch der Autor des hier zu besprechenden Bandes einen wesentlichen Beitrag geleistet hat. [1] Die vorliegende Studie bildet dazu einen weiteren Baustein. Aus einem Auftrag des Landesbundes für Vogelschutz im Zuge des 100-jährigen Jubiläums im Jahre 2009 entstanden, wurde sie unter Berücksichtigung der vergangenen elf Jahre aktualisiert und in Buchform publiziert. Sie stützt sich auf Quellen aus mehreren bayerischen Staatsarchiven, aus Kommunalarchiven und dem Vereinsarchiv, auf Verbandspublikationen und Zeitzeugeninterviews.
Der Aufbau entspricht einer klassischen Vereinsgeschichte, die anhand einer chronologischen Gliederung die Entwicklung des Verbandes von der Gründung bis in die jüngste Zeit nachzeichnet. In der Einleitung verspricht der Autor, die Verbandsgeschichte "ein wenig gegen den Strich zu bürsten" und auch "die Abgründe der LBV-Geschichte" - gemeint ist das Verhalten der maßgeblichen Akteure des Landesbundes während des Nationalsozialismus - gründlich zu diskutieren (14).
Als Gründungsakt des heutigen Vereins wird im ersten Hauptkapitel die Einberufung einer "Staatlich autorisierten Kommission für Vogelschutz" im Bayerischen Innenministerium im November 1909 präsentiert, der sich auch der nach dem Ersten Weltkrieg nicht mehr sichtbare "Verein für Vogelschutz in Bayern" anschloss. Damit ist eine Grundtendenz angesprochen, die auch für andere um die Jahrhundertwende gegründete Organisationen aus dem Bereich des Naturschutzes bestimmend war: Der "Landesverband für Vogelschutz", später auch "Ausschuss für Vogelschutz", war als staatliche Kommission ein Hybrid aus Verwaltung und Zivilgesellschaft, wobei bis in die frühe Nachkriegszeit das staatliche Element doch weitgehend dominierte, sodass Uekötter den Verband als "verlängerten Arm amtlicher Bestrebungen" (59) bezeichnet.
Zudem arbeitet Uekötter heraus, dass sich der organisierte Vogelschutz von den meisten übrigen dem Naturschutz verschriebenen Gruppierungen lange Zeit durch ein wirtschaftliches Primat unterschied. Das heißt, dass nur im agrar- und forstökonomischen Sinne als "nützlich" empfundene Vögel geschützt werden sollten. Die Bekämpfung für die Landwirtschaft schädlicher Tiere (z.B. der Krähen) wurde zum Teil sogar explizit befürwortet. Erst als der ubiquitäre Einsatz chemischer Mittel die Vögel als biologische Schädlingsbekämpfer überflüssig werden ließ, konnte sich der Verband einem umfassenden, ökologischen von Nützlichkeitserwägungen getrennten Vogelschutz öffnen.
Interessant erscheint im Zusammenhang zwischen allgemeinhistorischen Zäsuren und vereinsgeschichtlichen Wegmarken, dass die als nationalsozialistisch apostrophierte Epoche (Kapitel III) hier bis 1959 gedehnt wird. Wesentlich wird dies an der bestimmenden Figur des Landessachverständigen für Vogelschutz und Leiter der Vogelschutzwarte in Garmisch-Partenkirchen, Otto Henze, festgemacht, der ab 1939 amtierte. Im Lichte eines überaus kostspieligen Neubaus der Vogelschutzwarte, eines unkooperativen Arbeitsstils und eines überkommenen Verständnisses von Vogelschutz wird dieser als unheilvolle Gestalt geschildert.
Henzes Ablösung im Jahr 1959 sieht Uekötter in mehrfacher Hinsicht als Wende an. Zum einen sollte sich in den 1960er Jahren die Waage langsam in Richtung eines von staatlicher Bindung emanzipierten Mitgliedervereins neigen, den schließlich nach der Wahl des Apothekers Ludwig Sothmann zum ersten Vorstand im Jahr 1978 zum ersten Mal seit 1920 kein Staatsbeamter mehr führte. Zum anderen erfolgte als parallele Entwicklung die Erweiterung des Aufgabengebiets hin zu einem umfassenden Biotopschutz, der die Erhaltung artenreicher Lebensräume zum Ziel hat. Diese inhaltliche "Neuorientierung" im Zeichen eines Denkens in ökologischen Zusammenhängen, die titelgebend für das den Zeitraum zwischen 1959 und 1990 umfassende, vierte Hauptkapitel ist, ließ den Ankauf von Grundstücken und die Pflege von Biotopen zu einem großen Schwerpunkt der Vereinsarbeit werden. Damit begab sich der Landesbund in gewissem Sinne in Konkurrenz zum etwas größeren Bund Naturschutz in Bayern. Das Verhältnis der beiden beinahe gleich alten Vereine beschreibt Uekötter insgesamt als arbeitsteilig, wobei er die größere Kooperationsbereitschaft des LBV und dessen moderateres Auftreten gegenüber staatlichen Organen im Gegensatz zum konfrontativeren Wirken des BUND als letztlich erfolgreiche Strategie zur Durchsetzung der eigenen Anliegen herausstreicht.
Im abschließenden fünften Hauptkapitel "Ein starkes Stück Bayern" zeichnet der Autor mit einem wohlwollenden Blick das Bild eines gut geführten und erfolgreichen Umweltschutzverbandes, der als einer der Initiatoren des Volksbegehrens "Artenvielfalt - Rettet die Bienen!" 2019 seine Schlagkraft unter Beweis gestellt habe.
Den chronologisch angelegten Hauptkapiteln folgt jeweils eine kurze Zwischen- bzw. Schlussbetrachtung, die als eine Art Kommentar das Vorhergehende nochmals reflektiert, in größere Zusammenhänge stellt und zum Teil Empfehlungen und Urteile des Autors wiedergibt. So spricht Uekötter in der ersten Zwischenbetrachtung, die sich der Frage nach dem weitgehenden Fehlen von Frauen in den ersten Jahrzehnten der Vereinsgeschichte widmet, die aktuell fehlende Diversität hinsichtlich der Herkunft der Vereinsmitglieder an. Nach dem zweiten Hauptkapitel ("Krisenjahre. 1914-1933") findet sich eine Betrachtung mit dem Titel "Wie autoritär darf Naturschutz sein?". Mit Blick auf die Staatsnähe des organisierten Naturschutzes wird auch den bayerischen Vogelschützern der 1930er Jahre eine fehlende Widerstandskraft gegen den Nationalsozialismus attestiert und daraus abgeleitet, dass ein Naturschutz, der "immer nur von oben kommt, [...] auf Dauer Probleme" bekomme (61).
Der souverän geschriebene Text beinhaltet die ein oder andere etwas saloppe Formulierung. Aufgrund des relativ knappen Umfangs und des Überblickscharakters der Studie sind Anmerkungen hinsichtlich einiger Desiderate natürlich etwas müßig. So werden die einzelnen Zuständigkeiten und das diffizil zu durchdringende Geflecht der Ämter und Strukturen zwischen Verein, Vogelschutzwarte und staatlichem Ausschuss sowie vor allem die leitenden Akteure in Bezug auf die erste Hälfte der Vereinsgeschichte nicht immer vollständig transparent. Auch die verschiedenen in Bayern vorzufindenden Vogelarten, denen zu bestimmten Zeiten die besondere Aufmerksamkeit des Verbandes galt, finden nur selten Erwähnung.
Das empfehlenswerte Buch verdeutlicht das Erkenntnispotential innovativer vereinsgeschichtlicher Studien, wirft ein Licht auf eine bisher noch weniger betrachtete Spielart des Naturschutzes in Bayern und zeigt aufs Neue, dass eine Gegenüberstellung von Staat und Zivilgesellschaft zumindest für die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts den Charakter des organisierten Umweltschutzes nicht trifft.
Anmerkung:
[1] Frank Uekötter: 100 Jahre Bund Naturschutz in Bayern. Fragen an eine bewegte Geschichte, in: 100 Jahre BUND Naturschutz in Bayern (Bund Naturschutz Forschung; 11), Nürnberg 2013, 7-19; Ute Hasenöhrl: Zivilgesellschaft und Protest. Eine Geschichte der Naturschutz- und Umweltbewegung in Bayern 1945-1980 (Umwelt und Gesellschaft; 2), Göttingen 2011; Dies.: Natur- und Umweltschutz (nach 1945), publiziert am 12.09.2011; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Natur-_und_Umweltschutz_(nach_1945) (5.10.2021)
Martin Keßler