Enno Bünz / Werner Greiling / Uwe Schirmer (Hgg.): Thüringische Klöster und Stifte in vor-und frühreformatorischer Zeit (= Quellen und Forschungen zu Thüringen im Zeitalter der Reformation; Bd. 6), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2017, 461 S., zahlr. s/w-Abb., ISBN 978-3-412-50807-4, EUR 60,00
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Enno Bünz: Die mittelalterliche Pfarrei. Ausgewählte Studien zum 13.-16. Jahrhundert, Tübingen: Mohr Siebeck 2017
Der Titel erscheint auf den ersten Blick nüchtern, ja gar ein wenig spröde. Doch liegt gerade in diesem Titel gleichwohl eine besondere Brisanz, geht es doch um Klöster und Stifte als ausgesprochen katholische Einrichtungen in der Zeit vor und während der Reformation. Wie waren die geistlichen Institute in dieser Zeit konstituiert und mit welchen Herausforderungen wurden sie jeweils konfrontiert? Insofern ist es erfreulich, dass sich dieser Band in 14 Aufsätzen sowohl in Form von Überblicksbeiträgen als auch von Einzelstudien im nun abgelaufenen "Luther-Jahr" "nur" mit katholischen Einrichtungen auseinandersetzt. Eine Reihe von durchgängig guten Schwarz-Weiß-Abbildungen sowie ein Orts- und ein Personenregister runden den Band ab.
Auf wenigen Feldern des kirchlichen Lebens zeitigte die Reformation so große Auswirkungen wie auf dem Gebiet des monastischen Lebens. Und dennoch: Klöster und Reformation waren auf eine eigenartig gegensätzliche Weise miteinander verbunden. Enno Bünz weist in der Einführung treffenderweise darauf hin, dass es "ohne den Mönch Martin Luther keine Reformation" (9) gegeben hätte. Mithin ist das Spannungsverhältnis von Klöstern und Reformation besonders reizvoll. Thüringen war bis zur Reformation eine vitale Klosterlandschaft mit über 200 geistlichen Instituten.
Enno Bünz widmet sich in einem instruktiven Überblicksbeitrag (21-63) den 14 thüringischen Kollegiatstiften - einem Thema, das bislang nicht nur für Mitteldeutschland eher stiefmütterlich behandelt wurde. Dabei gab es dort eine ganze Reihe von Stiften. Die Karte mit den Dom- und Kollegiatstiften (27) vermittelt eine gute Übersicht. Wie für andere Regionen kann Bünz auch für Thüringen festhalten, dass die Stifte trotz ihres schlechten Rufes vitaler waren, als dies vielfach - in der historischen Retrospektive - behauptet wird.
Rainer Müller eröffnet die Reihe der spezielleren Studien mit einem eher selten behandelten Thema, nämlich den Klosterbauten (65-113). Hierbei fällt auf, dass noch einige Jahrzehnte vor der Reformation eine signifikante Zunahme der Bauaktivitäten zu beobachten ist - meist Restaurierungen und Ausbauten. Der Autor thematisiert dankenswerterweise auch die Klostergebäude; denn gerade diese lassen eigentlich noch mehr vom Alltagsleben der Nonnen und Mönche erkennen als die Kirchen. Hierbei geht Müller unter anderem der Frage nach, ob sich die jeweilige programmatische Ausrichtung der Orden auch in der Architektur widerspiegelte. Eine bauliche Erneuerung (Kreuzgänge, Kapitel- und Schlafsäle, Refektorien) - so die überzeugende These Müllers - war auch eine Manifestation einer inneren Erneuerung (79).
Stefan Michel widmet sich den Landesherren und Brüdern Friedrich und Johann von Sachsen als Förderer und Schutzherren der kursächsischen Klöster zwischen 1486 und 1525 (115-133) und kann aufzeigen, wie stark das landesherrliche Interesse an kirchlichen Einrichtungen bereits vor der Reformation war, um sie auch in den Dienst der Territorialisierung zu stellen und den Einfluss der Bischöfe und Orden zu beschneiden.
Johannes Mötsch präsentiert einen Überblick zur Entwicklung der Frauenklöster in den letzten Jahrzehnten vor der Reformation (135-146) und kann aus urkundlichen Quellen tatsächlich vorhandene Missstände belegen; ein sinnvolles methodisches Unterfangen, da Schilderungen über mangelnde Klosterzucht häufig aus narrativen Quellen tradiert und von der Forschung nicht selten unkritisch übernommen werden. Der instruktive Beitrag von Elke-Ursel Hammer über die Reformschicksale zisterziensischer Frauenklöster (147-162) ist gleichsam eine Spezifizierung des Überblickes von Mötsch. Auch hier wird die tragende Rolle des Landesherrn bei Reformen deutlich; der Orden selbst war kaum aktiv. Allerdings war die Durchsetzung der Reformation "nicht unmittelbar vom Reformstatus des Klosters abhängig" (153).
Alexander Sembdner thematisiert die Augustiner-Chorherren (163-211) und weist zu Recht darauf hin, dass die gleichsam klassische Dichotomie von "Klosterverfall" und "Reformfreudigkeit" (163) zu plakativ sei und im Grunde das "narrative Erbe der reformatorisch-evangelischen Historiographie" (163) darstelle. Für das Überleben war das landesherrliche wie das städtische Kirchenregiment wichtig. Reformpläne scheiterten nicht an der Reformunwilligkeit der Chorherren, "sondern an der korporativen Einbettung der einzelnen Institutionen in einen übergeordneten Organisationsverband" (209).
Bernd Schmies beleuchtet die franziskanischen Konvente in Nordhausen und Mühlhausen (213-243). Reformen im 15. Jahrhundert liefen parallel mit dem Aufblühen des Nordhäuser Studiums. Das Interesse der Gläubigen an franziskanischer Seelsorge war auch Anfang des 16. Jahrhunderts noch sehr groß. Thomas C. Müller (245-260) widmet sich den Eichsfelder Klöstern und zeichnet das Schicksal ihrer Insassen nach.
Josef Pilvousek betrachtet die Erfurter geistlichen Institute in der Reformationszeit (261-285). Hier waren es vor allem die Frauenkonvente, die sich gegen obrigkeitliche Reformationsversuche wehrten, während Männerklöster eher nachgaben.
Es folgen Ausführungen über speziellere kulturhistorische Aspekte: So widmet sich Stefan Menzel der Reliquien- und Offizientranslation aus musikhistorischer Perspektive anhand des Erfurter Severus-Kultes (287-314). Was in der Forschung nicht so häufig Beachtung findet, ist, dass mit der Aufhebung der Klöster nicht nur Folgen für die betroffenen Personen, die Ökonomie sowie die karitativen und bildungsmäßigen Angebote verbunden waren, sondern auch für den musikalischen Sektor, hier speziell die Chormusik.
Matthias Eifler geht der Buchkultur und dem Bibliotheksausbau im Erfurter Peterskloster nach (315-345). Hier schuf eine Reform der Ökonomie die Voraussetzungen für Baumaßnahmen im Sinne der Reformen, und zwar der für die "vita communis" zentralen Orte wie Kapitelsaal, Refektorium und eben auch die Bibliothek. Reformen waren meist mit einer Erweiterung der Klosterbibliotheken verbunden. Den gleichen Themenbereich behandelt Joachim Ott anhand der ehemaligen Klosterbibliotheken in den Beständen der Universitäts- und Landesbibliothek Jena (347-373).
Volker Graupner nimmt die Überlieferung im Landesarchiv Thüringen in den Blick und legt besonderes Augenmerk auf die Sequestration der Klöster in Kursachsen (375-395). Hierbei thematisiert der Autor eine Periode, die oft keine so große Aufmerksamkeit findet, weil sie eben nur als Endzeit der Klöster angesehen wird. Der Gewinn aus der Sequestration floss hierbei nicht immer karitativen oder bildungsmäßigen Zwecken zu. Zu Recht weist Graupner darauf hin, dass trotz der Spröde und Sperrigkeit der Inventare, Rechnungen und Sequestrationsakten diese Quellen instruktive Einblicke in das Innenleben der Klöster bieten.
Schließlich widmet sich Uwe Schirmer der Formierung der evangelisch-lutherischen Domkapitel (397-443) - ein Themenbereich, der leider selten im Mittelpunkt steht, wenn es um die Reformation geht. Auch wenn die Domkapitel integrativer Bestandteil der mittelalterlichen Bistumsverfassung waren, so bestanden gegen Ende des 16. Jahrhunderts eine Reihe dieser Kapitel und das Damenstift Quedlinburg in evangelischer Form fort. Denn sie dienten den Landesherren unter anderem als Versorgungsanstalten für Konsistorien und Bildungseinrichtungen (Universitäten).
Der von den Herausgebern und Autoren präsentierte Themenbereich der Klöster vor und während der Reformation ist immer noch für viele Regionen nicht gut erforscht - Thüringen ist durch diese Publikation einen großen Schritt vorangekommen. Deutlich wird die Bedeutung von diversen klösterlichen Reformen vor der Reformation, die gleichwohl die Säkularisation nicht verhindern konnten, weil hier außerklösterliche Faktoren entscheidend waren.
Der Band ist ein sehr gelungenes Kompendium des Forschungsstandes und bietet Raum für neuere Arbeiten, wobei die Desiderata unübersehbar sind. Dies allerdings liegt an der insgesamt lückenhaften monografischen wie auch erschließungstechnischen und editorischen Aufbereitung der Klostergeschichten bzw. der Archiv- und Bibliotheksbestände. Daher weisen die Herausgeber im Vorwort richtigerweise darauf hin, dass die Erarbeitung eines Thüringischen Klosterbuches sehr dringlich bleibt (7). Würde dies vorangetrieben, so könnten viele der hier aufgeworfenen Fragen noch besser beantwortet und vergleichende Studien betrieben werden.
Wolfgang Rosen